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Im Bereich des internationalen Erbrechts nehmen deutsch-türkische Erbfälle schon aufgrund der rund eineinhalb Millionen in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen eine große Bedeutung ein. Für diese Menschen stellt sich irgendwann die’Frage nach den für sie geltenden erbrechtlichen Regelungen. Bevor allerdings materiell-rechtliche Fragen, etwa nach der Erbfolge oder der Bestimmung der gesetzlichen Erbquoten, beantwortet werden können, ist zunächst insbesondere das anwendbaren Recht und im Fall einer (antizipierten) Erbstreitigkeit die internationale Zuständigkeit der Gerichte zu bestimmen sowie ggf. ein Nachweis der Erbfolge zu beschaffen. Dieser Beitrag soll einen Überblick über das anwendbare Recht und die internationale Zuständigkeit in Bezug auf deutsch-türkische Erbfälle liefern sowie den Nachweis der Erbfolge in beiden Staaten behandeln.
I. Rechtsquellen deutsch-türkischer Erbfälle
Die maßgeblichen Rechtsquellen des internationalen Privat- (IPR) und Zivilverfahrensrechts (IZVR) deutsch-türkischer Erbfälle sind zunächst aus türkischer Sicht insbesondere das Gesetz über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht (tIPRG) sowie aus deutscher Sicht insbesondere die EuErbVO. Darüber hinaus gilt zwischen Deutschland und der Türkei das deutsch-türkische Nachlassabkommen (NA). Zur Beantwortung der vorgenannten Fragen zum anwendbaren Recht und zur internationalen Zuständigkeit ergibt sich damit zunächst die Schwierigkeit der zutreffenden Anwendung der in Betracht kommenden Rechtsquellen.
1. Anwendungsbereich des NA
Bei der Anwendung der vorstehenden Rechtsquellen ist insbesondere darauf zu achten, dass das NA innerhalb seines Anwendungsbereichs aufgrund von Art. 1 Abs. 2 tIPRG bzw. Art. 75 Abs. 1 EuErbVO gegenüber den auf dem Gebiet des internationalen Erbrechts geltenden nationalen Rechtsquellen vorrangig ist. Aus diesem Grund wird das NA auch hier vorrangig betrachtet.
a. Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich
In persönlicher Hinsicht ist das NA nach überzeugender Auffassung nur auf ausschließlich deutsche oder ausschließlich türkische Staatsangehörige anwendbar. Doppelstaater fallen nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des NA, da sie vom historischen Schutzzweck, der sich jeweils lediglich auf ausschließlich deutsche bzw. türkische Staatsangehörige im jeweils anderen Staat bezieht, nicht erfasst sind. Für diese Personengruppe gilt daher das nationale IPR bzw. IZVR, also insbesondere die EuErbVO bzw. das tIPRG.
Darüber hinaus ist eine räumliche Komponente des persönlichen Anwendungsbereichs zu beachten. So finden die Kollisionsnormen des NA nur auf deutsche Staatsangehörige im Hinblick auf deren in der Türkei belegenes Vermögen bzw. auf türkische Staatsangehörige nur im Hinblick auf das in Deutschland belegene Vermögen Anwendung. Dies führt dazu, dass in vielen Fällen aufgrund von Vermögen in beiden Vertragsstaaten teilweise das NA anzuwenden ist und teilweise die nationalen Rechtsquellen des IPR bzw. IZVR.
In räumlicher Hinsicht ist das NA jedenfalls auf das in den Vertragsstaaten belegene Vermögen anwendbar. Ob das NA darüber hinaus auch auf in Drittstaaten belegenes Vermögen anwendbar ist, ist umstritten, aufgrund des Schutzbereichs des NA, der sich lediglich auf die Staatsangehörigen des einen Vertragsstaats im anderen Vertragsstaat bezieht, allerdings abzulehnen.