(...)
Die Beschwerde ist im Ergebnis nicht begründet.
Der Antragstellerin steht als nichtehelicher Tochter nach ihrem Vater kein Erbrecht zu. Dies folgt aus Art. 12 Abs. 1 § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NEhelG), da sie vor dem 1. 7. 1949 geboren wurde. Ihr konnte daher weder der beantragte Erbschein erteilt werden, noch konnte der den Beteiligten zu 1) und 2) erteilte Erbschein eingezogen werden.
Der Senat hat unter Berücksichtigung des Urteils des EGMR vom 28.5.2009 – 3545/04, ZEV 2009, 510 ff – geprüft, ob die Anwendung des Art. 12 Abs. 1 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG im Lichte der EGMR-Entscheidung auch in dem vorliegenden zur Beurteilung anstehenden Fall gegen Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) iVm Art. 8 EMRK verstößt.
Er hat hierzu entsprechend der Verfügung des Senats vom 6.4.2010 zunächst Folgendes erwogen:
"(...) Der Referententwurf eines Zweiten Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder (veröffentlicht bei www.bmj.bund.de zu Zivilrecht/Erbrecht/Gesetzgebung Gleichstellung nichtehelicher Kinder) sieht als Folge der Entscheidung des EGMR nur eine Gleichstellung der nichtehelichen Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren sind, für Erbfälle nach dem Stichtag vom 28. Mai 2009 (Entscheidungsdatum) vor. Der vorliegende Erbfall datiert vom 1. Mai 2009. Für diese sieht der Referentenentwurf aus Gründen des Vertrauensschutzes keine Gesetzesänderung vor. Dies wird damit begründet, dass eine rückwirkende Entziehung der Erbenstellung verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre."
(...) Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407, 3408) hat hinsichtlich der Reichweite von Entscheidungen des EGMR u. a. ausgeführt: (...) "Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle – soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind – im Range eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 [370] = NJW 1987, 2427; BVerfGE 82, 106 [120] = NJW 1990, 2741 = NStZ 1990, 598). "
Diese Rangzuweisung führt dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben. Die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle sind allerdings in der deutschen Rechtsordnung aufgrund dieses Rangs in der Normenhierarchie kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab (vgl. Art. 93 I Nr. 4 a GG, § 90 I BVerfGG). Ein Beschwerdeführer kann insofern vor dem BVerfG nicht unmittelbar die Verletzung eines in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Menschenrechts mit einer Verfassungsbeschwerde rügen (vgl. BVerfGE 74, 102 [128] = NJW 1988, 45 = NStZ 1987, 275 mwN; BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats], NVwZ 2004, 852 = EuGRZ 2004, 317 [318]). Die Gewährleistungen der Konvention beeinflussen jedoch die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des EGMR dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern dies nicht zu einer – von der Konvention selbst nicht gewollten (vgl. Art. 53 EMRK) – Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (vgl. BVerfGE 74, 358 [370] = NJW 1987, 2427; BVerfGE 83, 119 [128] = NJW 1991, 1043 = NStZ 1991, 181; BVerfG [3. Kammer des Zweiten Senats], NJW 2001, 2245).“
(...) Wenn nach dem Urteil des EGMR feststehen sollte, dass der Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG dem europäischen Gemeinschaftsrecht widerspricht und deshalb wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht angewandt werden darf, dann ist das Gesetz nicht mehr entscheidungserheblich im Sinne von Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.11.2008 – 1 BvL 4/08 – BeckRS 2008 41121), was Voraussetzung für eine Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht wäre. Die notwendige Prüfung der eventuellen Unanwendbarkeit der Vorschrift wegen Unvereinbarkeit mit Europarecht obliegt danach dem Senat.
(...) Hierbei ergeben sich Bedenken des Senats, ob die Erwägungen des Referentenentwurfs zum Vertrauensschutz mit der Entscheidung des EGMR zu vereinbaren ist, aus folgender Formulierung der Entscheidung (aaO, Tz 44):
"Er (der EGMR, Anmerkung des Senats) ist insbesondere der Auffassung, dass unter Berücksichtigung des sich verändernden europäischen Umfelds, das er bei seiner notwendigerweise dynamischen Auslegung der Konvention (s. o. Tz 40) nicht außer Acht lassen kann, der Gesichtspunkt des Schutzes des ,Vertrauens‘ des Erblassers und seiner Familie dem Gebot der Gleichbehandlung nichtehelicher und ehelicher Kinder unterzuordnen ist. Der EGMR hat bereits 1979 in seinem Urteil in der Sache Marckx (s. EGMR, 1979, Serie A, Bd. 31 Nrn. 54 – 59, NJW 1979, 2449) festgestell...