Wolfgang Putz/Elke Gloor
Hoffmann und Campe, Hamburg 2011, 255 Seiten, 18,00 EUR
Ein Lebenswerk kulminiert in einem Strafverfahren, das zuletzt vom BGH entschieden wird. Der Hauptbeteiligte selbst – der Kollege Wolfgang Putz – hat dazu ein Buch geschrieben: Das Buch zum Fall. Das Buch zum Lebenswerk. Das Buch zum Thema "Sterbehilfe" – zum "Sterben dürfen".
Rückblende: Es ist Freitag, der 25.6.2010, 20.00 Uhr. Im Ersten Deutschen Fernsehen beginnt die Tagesschau. Es wird gezeigt, wie sich zwei Menschen vor Erleichterung umarmen. Der Nachrichtensprecher kommentiert: "Sie dürften Rechtsgeschichte geschrieben haben. Anwalt Wolfgang Putz und seine Mandantin Elke Gloor." Der Nachrichtensprecher hat Recht.
Stunden zuvor hatte der BGH Rechtsanwalt Putz vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen. Putz hatte Frau Gloor geraten, den Schlauch zur Magensonde ihrer Mutter durchzuschneiden, damit deren Pflegeheim die künstliche Ernährung nicht wieder rechtswidrig aufnehmen könne. Vom Landgericht Fulda war der Rechtsanwalt zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren ohne Bewährung gefordert.
Der BGH stellte klar, wie zukünftig ein "Behandlungsabbruch" juristisch zu definieren sei, wann er gerechtfertigt ist und dass er auch durch aktives Tun vollzogen werden darf. Dabei nutzte er den Fall, um erste Grundzüge zur Auslegung des Patientenverfügungsgesetzes vom 29.7.2009 darzustellen – auch, wenn das Gesetz zum "Tatzeitpunkt" noch gar nicht existierte.
Ausgehend von diesen Geschehnissen stellt der Hauptautor des Buches, Putz, die Entwicklung des Patientenrechts in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten dar. Gloor schildert, wie sie etwas persönlich berührte, was für uns Juristen letztlich ein "Fall" ist. So war beispielsweise der Freispruch des Kollegen Putz für Frau Gloor auch deshalb so wichtig, weil sie im ersten Verfahren nur "wegen Unwissenheit" nicht verurteilt wurde und sonst mit dem Makel, die eigene Mutter getötet zu haben, hätte weiterleben müssen. Außerdem wurde, statt irgendjemanden vom Pflegeheim zu belangen, Frau Gloor in Haft genommen und durfte ihre Mutter nach dem Ereignis bis zu deren Ableben nicht mehr sehen.
Das Buch ist für Juristen und Laien verständlich geschrieben. Die Spannung bleibt trotz der Unterbrechungen der Schilderung des konkreten Falls durch allgemeine Ausführungen bis zum Schluss erhalten. Zu viel Schockierendes, zu viel Unglaubliches passiert. Das ist der gebrochene Oberarm der Komapatientin, dessen Ursache unklar bleibt und der lange nicht behandelt wird. Das ist die monatelange Weigerung der Berufsbetreuerin, ihrer Pflicht nachzukommen und tätig zu werden. Das ist die menschenverachtende Überheblichkeit von Pflegeheimverantwortlichen, die meinen, sie dürften über das Leben und Sterben einer Bewohnerin bestimmen, und dabei an ihr noch Tausende von Euro verdienen.
Und das ist nicht zuletzt das Gebaren der Staatsanwaltschaft Fulda. Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien, – hier aber keimen auch bei mir Zweifel. Soll die junge Staatsanwältin wirklich aus eigener Überzeugung eine Strafverfolgung betrieben haben, die nicht nur die persönliche und berufliche Vernichtung des Kollegen Putz, sondern auch die Diskreditierung seiner gesamten Arbeit und Botschaft zur Folge hätte haben können? Warum ließ sich für die Verlegung einer neuen Magensonde bei der Betroffenen auf Betreiben der Polizei/Staatsanwaltschaft später keine Anweisung mehr finden? Warum wurde niemand von der Pflegeheimleitung belangt?
Es bleiben im konkreten Fall diese und weitere Fragen offen. Für die allgemeine Rechtslage aber wurden durch das Urteil und das Gesetz zur Regelung der Patientenverfügung wichtige Aspekte geklärt und durch die Autoritäten des BGH und des Gesetzgebers verbindlich.
Das ist ein großer Sieg. Natürlich nicht nur für den Kollegen Putz. Viele andere haben daran mitgewirkt. Im engeren Sinne zunächst seine in der Öffentlichkeit weniger präsente Kollegin Steldinger. Im weiteren Sinne unzählige Menschen, die jahrzehntelang im Großen und im Kleinen für die Rechte der Patienten und für die Selbstbestimmung und Würde der Sterbenden gekämpft haben. Auch sie haben gesiegt.
Für den Juristen, der sich mit dem Vorsorgerecht beschäftigt, bietet das Werk nicht nur eine juristische Einführung, sondern auch einen Einblick in die praktische Bearbeitung solcher Fälle. Ganze Schriftsätze werden wiedergegeben. Der Autor schildert zudem Gespräche mit den verschiedenen Beteiligten, von der Betreuerin über den Arzt bis zur Betreuungsrichterin.
Als Anwaltskollege ist das Interesse an der Arbeitsweise des Spezialisten Putz natürlich groß. Es ist spannend, wie unterschiedlich die Bearbeitungsweise entsprechender Mandate sein kann. Andere Kollegen hätten früher – bzw. überhaupt – zu den Mitteln der einstweiligen Verfügung, der Unterlassungsklage und der Strafanzeige gegriffen. Das zeigt aber auch die Freiheit unseres Berufs. Richtig i...