1. Vorschriften zum jeweiligen Anwendungsbereich gehören zu jedem normativen Regelwerk. Sie sind sogar die wichtigsten Vorschriften innerhalb eines solchen Regelwerks. Denn sie stellen klar, auf welche Sachverhalte das normative Regelwerk Anwendung findet und auf welche Sachverhalte nicht. Deshalb finden sich die Regelungen zum jeweiligen Anwendungsbereich auch grundsätzlich am Beginn eines normativen Regelwerks, wohingegen sich die Vorschriften zum Inkrafttreten sowie Übergangsvorschriften regemäßig am Ende eines solchen Regelwerks auffinden lassen.
Das gilt auch für allgemeine Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung im Sinne des Art. 84 Abs. 2 und des Art. 85 Abs. 2 S. 1 sowie des Art. 86 Abs. 2 S. 1 GG. Nach diesen Anordnungen in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland kann die Bundesregierung jeweils mit Zustimmung des Bundesrats allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen.
2. Die WertR 06 ordnet im 2. Absatz ihrer Vorbemerkung an, dass "diese Richtlinien verbindlich sind, soweit ihre Anwendung angeordnet wird". Diese Anordnung wird durch die Anordnungen in Absatz 3 der Vorbemerkung und durch die Aufzählung "Gesetzliche Regelungen und andere Vorschriften" in der Nr. 1.1 sowie durch die Anordnungen in der Nr. 1.2 "Gutachtenerstellung und Verwendung der Anlagen 1 und 2" ergänzt.
In diesen Anordnungen fehlt allerdings jeglicher Hinweis auf die Art. 84, 85 und 86 GG, in denen jeweils ausdrücklich angeordnet ist, dass normergänzende allgemeine Verwaltungsbestimmungen des Bundes nur mit Zustimmung des Bundesrats erlassen werden können. Dies hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits im Jahre 1999 wie folgt festgestellt:
Zitat
"[…] Allgemeine Verwaltungsvorschriften für den Vollzug der Bundesgesetze durch die Länder im Auftrag des Bundes gemäß Artikel 85 Abs. 2 S. 1 GG können ausschließlich von der Bundesregierung als Kollegium mit Zustimmung des Bundesrats erlassen werden. […]"
Hierzu wurde im Fachschrifttum zur Verkehrswertbestimmung von Grundstücken die Auffassung vertreten, dass Erlass und Änderungen der Wertermittlungsrichtlinien nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Dabei könne dahinstehen, ob es sich bei den Wertermittlungsrichtlinien um eine Verwaltungsvorschrift im Rechtssinne handelt. Für den Erlass der Wertermittlungsrichtlinien 06 sei mithin Art. 86 S. 1 GG und nicht Art. 84 Abs. 2 bzw. Art. 85 Abs. 2 S. 1 GG einschlägig. Demzufolge würden sich aus der Entscheidung des BVerfG vom 2.3.1999 – 2 BvF 1/94 – keine Konsequenzen für die Wertermittlungsrichtlinien ergeben.
Diese Meinung hat der Fachautor Kleiber in seinem zitierten Werk leider nicht näher begründet. Sie ist angesichts des unmissverständlichen Wortlauts der Art. 84, 85 und 86 GG sowie der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1999 nur von geringem Überzeugungswert.
Es käme auf einen durchschlagenden Grund dafür an, dass die WertR 06 nicht der Zustimmung des Bundesrats bedurfte, um wirksam erlassen werden zu können. Denn die WertR 06 wurde im Jahre 2006 vom BMVBS ohne Zustimmung des Bundesrats erlassen, wie sich aus dem 2. Absatz ihrer Nummer "1’Zweck und Anwendungsbereich" unmittelbar ergibt. Die Regelung lautet wie folgt:
Zitat
"[…]"
Zweck und Anwendungsbereich
(1) […]
(2) Die Richtlinie wurde von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, der für das Gutachterausschusswesen zuständigen Ministerien der Länder sowie der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände erarbeitet und wird allen in der Grundstückswertermittlung Tätigen zur Anwendung empfohlen.
[…]“
Gemäß Artikel 51 GG besteht der Bundesrat aus Mitgliedern der Regierungen der Länder, die diese Mitglieder bestellen und abberufen. Seine Aufgabe und Arbeitsweise regeln die Artikel 50 und 52 GG. Die in der Nr. 1 Abs. 2 WertR genannte Arbeitsgruppe entspricht nicht den Vorgaben in den Artikeln 50 bis 52 GG.
Mithin steht die WertR 06 "außerhalb der deutschen Verfassung", also des GG. Sie ist bereits deshalb nichtig
3. Es kommt hinzu, dass die späteren Änderungen der WertR 06 durch die BRW-RL im Jahre 2011, die SW-RL im Jahre 2012, die VW-RL im Jahre 2014 und die EW-RL im Jahre 2015 die verfassungsmäßige Systematik der normergänzenden allgemeinen Verwaltungsbestimmungen nach den Art. 84, 85 und 86 GG verlassen haben. Jeweils in ihrem Abschnitt I "Zweck und Anwendungsbereich" ordnen BRW-RL, SW-RL, VW-RL und EW-RL jeweils in Absatz 1 an, dass diese Richtlinie "Hinweise" für die Ermittlung der jeweiligen Wertermittlung nach der "Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) vom 19.5.2010 (BGBl. I S. 639)" gibt. In Abschnitt I, Absatz 2 heißt es am Ende im letzten Satz, dass die jeweilige Richtlinie den Gutachterausschüssen (BRW-RL) sowie "allen in der Grundstückswertermittlung Tätigen zur Anwendung empfohlen wird".
Damit handelt es sich nicht mehr um Anordnungen des BMVBS bzw. des BMU gegenüber seinem nachgeordneten Verwaltungsbereich, sondern nur noch um Empfehlungen, die auch als solche bez...