I. Der BFH hat entschieden, dass ein Pflichtteilsgläubiger, der den Pflichtteilsschuldner beerbt hat, seinen durch Konfusion erloschenen Pflichtteilsanspruch nicht mehr geltend machen kann, wenn er im Zeitpunkt der Geltendmachung verjährt ist. Angesprochen hatte er die Thematik bereits in seinem Urteil vom 19.2.2013 (II R 47/11, ZErb 2013, 208, NJW 2013, 2623). Damals war die Antwort offengeblieben. Nunmehr kennen wir sie. Ohne sich mit dem Meinungsstand zu beschäftigen bringt der BFH zum Ausdruck, dass ein anderes Ergebnis für ihn inakzeptabel ist. Einen Grund nennt er nicht. Nicht zuletzt deshalb überzeugt sein Urteil nicht.
II. Nähern wir uns der Antwort Schritt für Schritt.
1. Zunächst nehmen wir den Normalfall: Der Pflichtteilsgläubiger klagt nach Eintritt der Verjährung gegen den Erben auf Zahlung des Pflichtteils. Die Verjährung hat keinen Einfluss auf den Bestand seines Anspruchs und auf seine Rechte als Gläubiger. Da sie nach Meinung des BFH die Funktion hat, Rechtsfrieden herbeizuführen, stört der Gläubiger mit seiner Klage den Rechtsfrieden. Das allein macht sie weder unzulässig noch unbegründet. Verteidigt sich der Erbe – lehrbuchmäßig – allein damit, der Kläger störe den Rechtsfrieden, und bleibt er auch auf Nachfrage des Gerichts dabei, dass er sich nur insoweit auf die Verjährung berufen wolle, wird er verurteilt. Denn die Störung des Rechtsfriedens ist rechtlich nur beachtlich, wenn sie dem Schuldner Anlass gibt, die Einrede der Verjährung zu erheben. Andernfalls ist sie für die Entscheidung über die Klage belanglos.
2. Gehen wir einen Schritt weiter und nehmen an, dass der Gläubiger auch der Erbe des Schuldners ist. Dann ist sein Anspruch auf den Pflichtteil mit dem Erbfall erloschen. Ihm gehört mit Rechtsgrund der Nachlass, also auch der darin enthaltenen Geldbetrag, der den Pflichtteil ausmacht. Ihn zu separieren, ist überflüssig, solange alles in einer Hand ist. Nun gibt es aber Situationen, in denen sich das ändert, nämlich dann, wenn Nachlassverwaltung angeordnet oder ein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet worden ist. Für diese Fälle bestimmt § 1976 BGB, dass die infolge des Erbfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit erloschenen Rechtsverhältnisse als nicht erloschen gelten. Trotz fortbestehender Identität von Gläubiger und Schuldner wird der Pflichtteilsanspruch also aufrechterhalten. Deshalb kommt es mit rückwirkender Kraft zu einer Trennung des Nachlasses, der mit der Verbindlichkeit belastet ist, vom Eigenvermögen des Erben, zu dem der Anspruch gehört (Palandt/Weidlich, 79. Aufl., § 1976 BGB Rn 1). Es besteht also ein fiktives Gläubiger-Schuldner-Verhältnis. Was dafür gilt, ergibt sich nicht aus § 1976 BGB, sondern aus den allgemeinen Regeln, die für ein echtes Gläubiger-Schuldner-Verhältnis gelten. Denn die Fiktion ist eine verdeckte Verweisung (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 262). Deshalb sind die Regeln, die für das echte Gläubiger-Schuldner-Verhältnis gelten, auf das fiktive Gläubiger-Schuldner-Verhältnis entsprechend anzuwenden.
3. Gehen wir den dritten Schritt: § 1976 BGB ist in § 29 Abs. 2 RErbStG 1906 aufgegriffen worden (Hoffmann, Reichs-Erbschaftssteuergesetz, § 29 Anm. 5) und lebt heute als § 10 Abs. 3 ErbStG weiter. Das bedeutet, dass die Pflichtteilsverbindlichkeit für die Bestimmung der Bereicherung im Sinne von § 10 Abs. 1 S. 1 ErbStG fiktiv fortbesteht. Gleich § 1976 BGB sagt auch § 10 Abs. 3 ErbStG, entgegen der Meinung des BFH, nichts über die Rechtsfolgen. Sie bestimmen sich nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG. Danach entscheidet sich, ob die fiktive Pflichtteilsschuld als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig ist.
Ihre Existenz ist dafür nicht ausreichend. Denn jedwede Verbindlichkeit wird nach allgemeiner Meinung nur berücksichtigt, wenn sie für den Erben auch eine wirtschaftliche Belastung darstellt. Ob sie den Erblasser im Todeszeitpunkt wirtschaftlich belastet hat, ist hingegen unerheblich (a.A. BFH v. 15.5.2009 – II B 155/08, BFH/NV 2009, 1579). Denn um seine Leistungsfähigkeit und Besteuerung geht es schließlich nicht.
Ob die Verjährung der Forderung dazu führt, dass die Verbindlichkeit den Schuldner nicht mehr wirtschaftlich belastet, hat auch die Ertragsteuersenate des BFH wiederholt beschäftigt. Denn davon hängt es ab, ob eine bilanzierte Verbindlichkeit beibehalten werden kann, oder ob sie gewinnerhöhend aufgelöst werden muss. Sie sagen übereinstimmend (BFH v. 9.2.1993 – VIII R 21/92, BStBl II 1993, 543; v. 15.2.2000 – X B 121/99. BFH/NV 2000, 1450; v. 21.5.2014 – I B 64/13, BFH/NV 2014, 1543), dass die Schuld nicht mehr passiviert werden darf, wenn anzunehmen ist, dass sich der Schuldner auf Verjährung berufen wird. Für Kipp (ErbStG 1925, § 23 Anm. 48) war es in der guten alten Zeit vor nun bald 100 Jahren unvorstellbar, dass jemand so etwas Unanständiges macht. Aber die guten Sitten scheinen verfallen zu sein. Sonst hätte das FG Münster (v. 17.01.2013 – 9 K 3226/11 K.G.F., juris) nicht den Erfahrungssatz gewinnen kön...