aa. Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens
Bei der Schließung der Lücke ist unter Berücksichtigung des im Testament zum Ausdruck gebrachten Willens des Erblassers zu ermitteln, wie er verfügt hätte, wenn er die weitere Entwicklung vorhergesehen und die Regelungsbedürftigkeit dieses Punkts erkannt hätte. Die Ergänzung ist vom Richter hierbei nicht im Hinblick auf die seiner Meinung nach gebotene objektive Verfügung vorzunehmen, sondern es ist allein der Wille des Erblassers maßgeblich, den dieser zur Zeit der Testamentserrichtung gehabt hätte. Der Richter hat sich also, wie bei der erläuternden Auslegung, in die Person des konkreten Erblassers hineinzuversetzen und zu entscheiden, wie dieser bei Kenntnis der für die Lücke maßgeblichen Tatsachen testiert hätte. Die ergänzende Testamentsauslegung kann auch zu der Feststellung führen, dass der Erblasser seine Anordnung für den von ihm nicht vorhergesehenen Fall nicht getroffen hätte, sodass die letztwillige Verfügung im Ergebnis als widerrufen zu behandeln oder eine in dem Testament getroffene Verfügung als gegenstandslos anzusehen ist.
bb. Andeutung des hypothetischen Erblasserwillens im Testament
Umstritten ist die Frage, ob auch der hypothetische Erblasserwille im Testament selbst eine hinreichende Stütze oder einen – auch noch so unvollkommenen – Ausdruck gefunden haben muss. Dies wird zum Teil verneint, weil die ergänzende Testamentsauslegung eine lückenhafte Regelung ja gerade voraussetze und diese nicht auch noch einen sprachlichen Anhalt in der Testamentsurkunde selbst finden könne. Mit der h.M. ist jedoch auch bei ergänzender Testamentsauslegung ein Anhaltspunkt für die Willensrichtung des Erblassers im Testament selbst zu fordern, da das Schließen der planwidrigen Lücke nicht dazu führen darf, dem Erblasser einen Willen unterzuschieben, der im Testament selbst nicht die geringste Grundlage findet. Insoweit ist zu differenzieren zwischen der konkreten Rechtsfolge als Mittel und dem Ausdruck der Willensrichtung als Ziel der testamentarischen Verfügung. Die Willensrichtung des Erblassers muss ihre Grundlage im Testament selbst haben und dort einen, wenn auch unvollkommenen, Anhalt gefunden haben.
Beispiel:
Setzt der Erblasser seine Haushaltshilfe zu seiner alleinigen Erbin ein und verstirbt diese vor ihm, so tritt gesetzliche Erbfolge nach dem Erblasser ein. Die Abkömmlinge der Haushaltshilfe können nicht mit der Behauptung gehört werden, der Erblasser habe immer die Absicht gehabt, ihnen eine bessere Ausbildung zu ermöglichen, da sich für diese Willensrichtung im Testament kein Anhalt findet und § 2069 BGB nicht zur Anwendung kommt. Verfügt der Erblasser aber wie folgt: "Erbin soll meine Haushaltshilfe H sein, damit ihre Kinder es einmal besser haben als sie selbst", dann kann zwar die beabsichtigte Rechtsfolge nach dem Vorversterben der H nicht mehr eintreten, wohl aber kann der im Testament angedeuteten Willensrichtung des Erblassers durch ergänzende Auslegung Geltung verschafft werden, indem hier die Abkömmlinge der vorverstorbenen H als Ersatzerben zu gleichen Teilen bedacht sind.