1. Begriff und Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung
Die einfache oder erläuternde Auslegung soll dem wirklichen, im Testament zum Ausdruck gebrachten Willen des Erblassers zur Geltung verhelfen. Die ergänzende Testamentsauslegung zielt hingegen darauf ab, eine lückenhafte letztwillige Verfügung zu vervollkommnen. Die ergänzende Testamentsauslegung führt zu Rechtsfolgen, die im Testamentswortlaut weder ausdrücklich noch dem Sinne nach angesprochen sind, weil der Erblasser maßgebliche Verhältnisse zum Zeitpunkt der Errichtung oder künftige Entwicklungen nicht kannte oder unrichtig beurteilte. Die ergänzende Auslegung schließt daher Lücken im Testament, indem sie den Willen des Erklärenden ermittelt, den dieser bei richtiger Wertung gehabt hätte. Auch die ergänzende Testamentsauslegung hat Vorrang gegenüber der Testamentsanfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB.
Die Zulässigkeit der ergänzenden Testamentsauslegung ist in Rechtsprechung und Lehre unbestritten. Ihre Rechtfertigung ergibt sich daraus, dass das Erbrecht viele Einzelbestimmungen und Ergänzungsregelungen enthält, die schon angesichts der Vielfalt der denkbaren Testamentsinhalte und der oft sehr langen Zeiträume zwischen Testamentserrichtung und Erbfall nicht abschließend sein können. Auch kann aus dem Zweck des § 2084 BGB, wonach einer testamentarischen Regelung zur Wirksamkeit zu verhelfen ist, geschlossen werden, dass dem Willen des Erblassers immer Vorrang vor der gesetzlichen Erbfolge zukommen soll. Außerdem besteht, worauf Brox zu Recht hinweist, auch ein erhebliches praktisches Bedürfnis nach einer ergänzenden Testamentsauslegung, da eine Änderung des Testaments nach dem Tod des Erblassers nicht mehr möglich ist, während bei Geschäften unter Lebenden unter dem Gesichtspunkt der Änderung der Geschäftsgrundlage auch später noch eine Einigung über eine Anpassung erzielt werden kann.
2. Voraussetzungen der ergänzenden Auslegung
Die ergänzende Auslegung erfolgt in zwei Schritten:
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Zunächst ist festzustellen, ob das Testament eine aus Sicht des Erblassers planwidrige Lücke aufweist. |
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Sodann ist in einem zweiten Schritt zu ermitteln, was nach der Willensrichtung des Erblassers als gedacht anzusehen ist, falls er die planwidrige Unvollständigkeit bei Abfassung des Testaments vorhergesehen hätte, um die Lücke im Testament zu schließen. Auch bei der ergänzenden Testamentsauslegung muss der hypothetische Wille im Wortlaut des Testaments zum Ausdruck gekommen sein. |
a. Vorliegen einer Lücke im Testament
Eine planwidrige Lücke in der letztwilligen Verfügung liegt vor, wenn für eine Situation oder einen Umstand eine Regelung fehlt, die der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage geregelt hätte, aber irrtümlich und unbewusst nicht geregelt hat. Die ergänzende Testamentsauslegung dient also der Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens. Eine vom Erblasser gewollte Unvollständigkeit, etwa eine Teilregelung statt einer abschließenden Erbregelung, kann nicht zu einer ergänzenden Testamentsauslegung führen. Die Auslegung muss daher beim Gesamtbild der letztwilligen Verfügung ansetzen und sich fragen, ob die getroffenen Verfügungen angesichts der damit verfolgten Ziele lückenhaft sind.
Die ergänzende Testamentsauslegung kommt daher insbesondere bei Entwicklungen zwischen Testamentserrichtung und Erbfall in Betracht, etwa weil der eingesetzte Erbe vorverstirbt, ein weiterer Abkömmling nach Testamentserrichtung hinzukommt oder der vermachte Gegenstand ersatzlos wegfällt. Auch eine vom Erblasser nicht vorhergesehene positive Entwicklung in der Lebensführung des Bedachten kann zu einer nachträglichen Lücke in der letztwilligen Verfügung führen. Neben Veränderungen nach Testamentserrichtung kommen aber auch ursprüngliche Lücken im Testament in Betracht, etwa wenn der Erblasser vom Tod des Bedachten oder Wegfall eines Vermögensgegenstands zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nichts wusste oder rechtlich fehlerhafte Schlussfolgerungen zieht. Hat der Erblasser den maßgeblichen Umstand aber gekannt und gleichwohl eine Regelung bewusst oder unbewusst unterlassen, bleibt für eine ergänzende Testamentsauslegung mangels planwidriger Lücke kein Raum. Ist die letztwillige Verfügung des Erblassers nach dessen Ableben, etwa bei Nacherbfolge, noch nicht vollständig wirksam geworden, können auch Ereignisse nach dem Erbfall noch die Möglichkeit einer ergänzenden Testamentsauslegung eröffnen.
Die ergänzende Testamentsauslegung setzt stets voraus, dass der Erblasser den für die Lücke ursäch...