1. Allgemeines
Die Auslegung letztwilliger Verfügungen stellt eine richterliche Aufgabe dar. Soweit es um die Feststellung des rechtlich geltenden, erklärten Willens in einem Testament geht, handelt es sich nicht um Tatsachenfeststellung, sondern um Rechtsanwendung. Die Auslegung hat, soweit es nicht um den tatsächlichen inneren Willen des Erblassers oder sonstige Umstände außerhalb der Testamentsurkunde geht, nichts mit Beweislast zu tun und darf auch nicht nach Beweislastgrundsätzen entschieden werden. Das Auslegungsergebnis kann daher nie Gegenstand eines Beweises oder Geständnisses im Zivilprozess sein. Dementsprechend ist das Gericht weder im Zivilprozess noch im Erbscheinsverfahren an eine übereinstimmende Auslegung durch die Parteien bzw. die Beteiligten gebunden. Hiervon zu unterscheiden sind die Feststellung des Erblasserwillens als sog. innere Tatsache und die Ermittlung von Umständen, die als Tatsachen Rückschlüsse auf den Erblasserwillen zulassen.
Soweit eine Tatsache infrage steht, gelten im Zivilprozess die allgemeinen Regeln über die Darlegungs- und Beweislast. In Betracht kommen insbesondere solche Umstände, die außerhalb der Testamentsurkunde selbst liegen, aber Rückschlüsse auf den Erblasserwillen zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung zulassen. Dies können insbesondere auch Äußerungen des Erblassers selbst über den Inhalt seines Testaments sein. Solche Bekundungen des Erblassers zu Lebzeiten können wertvolle Hinweise für die Auslegung geben, auch wenn im Einzelfall die Abgrenzung zwischen beachtlicher reiner Tatsachenbehauptung und unbeachtlicher Auslegung durch die Parteien oft schwierig sein wird.
Der Erblasserwille selbst stellt eine innere Tatsache dar. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Erblasserwille im Gegensatz zum Auslegungsergebnis dem Geständnis und der Beweisaufnahme zugänglich. Folglich kann der innere Wille des Erklärenden zugestanden werden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Auch können die Parteien übereinstimmend erklären, der Erblasser habe das Erklärte in einem bestimmten Sinne verstanden. Damit steht aber das Auslegungsergebnis noch nicht fest. Im Ergebnis geht der formgerecht erklärte Erblasserwille aber jeder anderen Auslegung vor.
2. Besonderheiten im Erbscheinsverfahren
Das Erbscheinsverfahren ist ein Antragsverfahren mit einer Verpflichtung des Nachlassgerichts, die für die Erteilung des Erbscheins maßgeblichen Umstände selbst zu ermitteln (§ 26 FamFG). Das einmal entstandene Erbrecht unterliegt nicht der Disposition der Parteien und kann daher auch nicht Gegenstand eines Vergleichs oder Anerkenntnisses sein. Auch ist das Gericht nicht an übereinstimmende Erklärungen oder eine übereinstimmende Auslegung der Beteiligten gebunden, sondern berechtigt und verpflichtet, weitere Tatsachen zu ermitteln, falls dies für die Aufklärung des Sachverhalts und die Auslegung der letztwilligen Verfügung geboten erscheint. Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, einem behaupteten Erblasserwillen nachzugehen und Ermittlungen hierzu anzustellen, wenn sich im Testament für eine derartige Auslegung keinerlei Andeutung oder Anhalt findet.