I. Regelungen in deutschen Partikularrechten / Rechtsquellen zum Erbrecht der halben Geburt
Die Regelungen zum Erbrecht von Vollgeschwistern im Vergleich zum Erbrecht von Halbgeschwistern differierten in den deutschen Partikularrechten und Rechtsquellen vor 1900 stark. Erkannt werden kann jedoch die Regelmäßigkeit, dass halbbürtige Geschwister vollbürtigen nachstanden.
Schon das Corpus iuris civilis normiert das Erbrecht von Halbgeschwistern ausdrücklich. Nach der Nov. 118 aus dem Jahr 543 n. Chr. kommen Halbgeschwister und deren Kinder erst dann zum Zug, wenn sowohl Vollgeschwister und deren Deszendenten (Abkömmlinge) als auch alle Aszendenten bereits vorverstorben sind. Halbgeschwister bilden eine eigene Erbklasse, die allen sonstigen Seitenverwandten der großelterlichen und höherer Generationen vorgeht.
Im Sachsenspiegel I 3 § 3 werden um 1220 Halbgeschwister ggü. den Vollbürtigen innerhalb derselben Parentel (Stamm, näheres dazu unten) um einen bzw. einen halben Grad zurückgesetzt, sodass die Halbgeschwister erst mit den Kindern von Vollgeschwistern erben.
Art. III § 5 unter dem Titel XII im fünften Buch des preußischen Landrechts von 1721 beruft Enkel von Vollgeschwistern zusammen mit Halbgeschwistern und deren Deszendenten zur Erbfolge. Das bedeutet, dass ähnlich der Regelung im Sachsenspiegel eine Gradeszurücksetzung normiert ist.
Im Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794 werden gem. Th. II. Tit. 2. §§ 300 ff, 489 ff, Tit. 3. §§ 31 ff fünf Erbfolgeklassen gebildet: 1) Deszendenten, 2) Eltern, 3) vollbürtige Geschwister und deren Deszendenten, 4) halbbürtige Geschwister und deren Deszendenten in Gemeinschaft mit den Aszendenten höherer Grade und zwar dergestalt, dass die eine Hälfte des Nachlasses die halbbürtigen Geschwister bzw. ihre Deszendenten erhalten und die andere Hälfte die höheren Aszendenten und 5) die entfernteren Seitenverwandten nach Gradesnähe, ohne dass es auf eine volle oder halbe Geburt ankommt. Halbgeschwister sind damit ggü. Vollbürtigen um eine Erbklasse nach hinten versetzt.
Ein Königlich Sächsisches Gesetz von 1829 statuierte folgende Erbränge: 1) Deszendenten, 2) Aszendenten (wobei die näheren die entfernteren verdrängen und die entfernteren nach Linien folgen), 3) Geschwister und deren Abkömmlinge nach dem Repräsentationsprinzip (wobei vollbürtige Geschwister einen doppelt so großen Anteil am Nachlass wie halbbürtige erhalten) und 4) sonstige Seitenverwandte. (Es kommt derjenige zum Zuge, der mit dem Erblasser den näheren gemeinsamen Vorfahren hat, bei mehreren gibt die Gradesnähe den Ausschlag). Voll- und halbbürtige Verwandte stehen damit gleichrangig nebeneinander, sodass hier das Parentelsystem mit Linear-Gradualfolge gilt. Jedoch ist der Anteil der Vollbürtigen doppelt so groß wie derjenige der Halbbürtigen.
Die Statuten des Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuchs (Inkrafttreten am 1.3.1865) stimmen mit dem Königlich Sächsischen Gesetz vom 31.1.1829 überein bis auf die Regelung, dass auch in der 4. Erbordnung die Erbquote der Vollbürtigen doppelt so hoch ist wie diejenige der Halbbürtigen, §§ 2026 ff, 2042 des Sächsischen Gesetzbuchs.
II. Entscheidung des Reichskammergerichts
Im Gegensatz zu den aufgezeigten Benachteiligungen i...