Grundlegend für jegliche Auseinandersetzung mit dem Erbrecht der halben Geburt im Bürgerlichen Gesetzbuch ist das Verständnis des dem BGB zugrunde gelegten Parentelsystems.
I. Generalia zum Parentelsystem
Im Mittelalter waren die partikularen Erbrechtsregelungen – wie oben angedeutet mit den differierenden Regelungen zum Erbrecht der halben Geburt – sehr unterschiedlich. Es gab nicht eine deutsche Erbrechtsordnung, sodass auch das Parentelsystem nicht als die deutsche Erbrechtsordnung gelten kann. Sie kann nicht einmal als die damals herrschende Ordnung bezeichnet werden.
Der Siegeszug des Parentelsystems begann in Deutschland aber im frühen 18. Jahrhundert. Es bleibt hierbei festzuhalten, dass es sich bei der Erbfolge in Parentel nicht um ein primär deutsches Rechtsinstitut handelt, vielmehr stellt es eine Fortentwicklung des langobardischen Lehnsrechts dar. Im langobardischen Lehnsrecht waren zur Erbfolge neben den Deszendenten die Kollateralen (Seitenverwandten) berufen, nicht aber Aszendenten. Die Aszendenten spielten nur insoweit eine Rolle, als dass die Seitenverwandten nur dann erben konnten, wenn sie von einem Lehnsbesitzer abstammten, das Lehngut für sie also kein feudum novum (Neulehn), sondern ein feudum paternum (Erblehn) war. Zum Erbe berufen waren in der folgenden Reihenfolge 1) Deszendenten unter Berücksichtigung des Repräsentationsprinzips, 2) Brüder zusammen mit Söhnen vorverstorbener Brüder, soweit es sich um ein feudum paternum handelte, zuletzt 3) entferntere Verwandte nach Linien und innerhalb der Linien nach Gradesnähe. Mithin wurde hier das Erbrecht nach Parentelen angewandt.
Den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zur gesetzlichen Erbfolge liegt dieses Parentelsystem zugrunde. Es steht auf zwei tragenden Säulen: Die erste Säule besteht darin, dass diejenigen zu Erben berufen werden, die mit dem Erblasser die näheren Stammeseltern gemeinsam haben. Diese schließen Verwandte vollständig von der Erbfolge aus, die mit dem Erblasser durch weiter entfernte Stammeseltern verbunden sind. Die zweite Säule ist das Repräsentationsprinzip, nach dem innerhalb der Ordnungen die entfernteren Verwandten die nicht mehr lebenden näheren Verwandten ersetzen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch wurde nur die erste Säule vollständig mit den §§ 1924–1926, 1928, 1929 BGB und der Klarstellung in § 1930 BGB umgesetzt. Die zweite Säule findet sich lediglich in den ersten drei Ordnungen wieder, danach wird sie durchbrochen zugunsten einer Erbfolge nach Gradesnähe.
II. Erbrecht von Halbgeschwistern im Parentelsystem des BGB
1. Gesetzliche Regelung
a) Inhalt der gesetzlichen Regelung
Das Erbrecht von Halbgeschwistern im Bürgerlichen Gesetzbuch beruht auf der konsequenten Durchsetzung der Grundsätze der Ausschließlichkeit der Parentelen gem. § 1930 BGB, des Eintrittsrechts nach Stämmen bis zur vierten Parentele gem. §§ 1924 Abs. 3, 1925 Abs. 3, 1926 Abs. 5 BGB und der Aufspaltung in eine mütterliche und eine väterliche Linie in der dritten Parentele gem. § 1926 Abs. 3, 4 BGB.
§ 1925 Abs. 1 BGB bestimmt als gesetzliche Erben der zweiten Ordnung die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. Wann Abkömmlinge der Eltern zum Zuge kommen, regelt § 1925 Abs. 3 S. 1 BGB näher: Wenn zur Zeit des Erbfalls der Vater oder die Mutter des Erblassers nicht mehr leben, so werden sie durch ihre Abkömmlinge (ergo die Geschwister und Geschwisterkinder) des Erblassers ersetzt. Ist kein Ehegatte vorhanden, so verteilt sich die auf den verstorbenen Elternteil entfallende Hälfte des Nachlasses innerhalb der Linie gem. § 1924 Abs. 2, 3 BGB nach Stämmen, unter Kindern desselben Stammes nach Kopfteilen gem. § 1924 Abs. 4 BGB.
Damit weicht, in dem Falle, dass ein Elternteil vorverstorben ist, der Elternvorrang dem Erbrecht nach Linien gem. § 1925 Abs. 3 S. 2 BGB.
Keine Auswirkungen hat diese Trennung nach Linien in Fällen, in denen nur Vollgeschwister des Erblassers existieren. Gibt es neben Vollgeschwistern auch Halbgeschwister, so wird die Tragweite d...