Die Motive setzen sich sehr intensiv mit den Wirkungen des Parentelsystems insbesondere bei dem in dieser Arbeit untersuchten Erbstatut von Halbbürtigen auseinander. Es sollen hier kurz die Erwägungen zu der Verabschiedung des Parentelsystems, der Abkehr vom unbedingten Schoßfallrecht und den Regelungen des Geschwistererbrechts geschildert werden.
aa) Parentelsystem und Abkehr vom Schoßfallrecht
Nach den Motiven führt gerade das Parentelsystem in Ansehung der hier betrachteten Seitenverwandten die verhältnismäßig billigsten und angemessensten Ergebnisse herbei. Außerdem streite die Einfachheit des Gesetzes für die Einführung des Parentelsystems und gegen Mischformen wie im Allgemeinen Preußischen Landrecht. Genauso erschöpfend wie das Parentelsystem seien nur die Normierungen des früheren Sächsischen BGB. Bei diesem falle das Nachlassvermögen hingegen in der zweiten Klasse nicht an die jüngere, sondern an die ältere Generation. Dies habe die in der Regel nicht akzeptable Konsequenz, dass letztlich das Familienvermögen näheren Verwandten entzogen werde, da es "z. B. durch die Großeltern, weil die Eltern verstorben sind, den Geschwistern, welchen es durch die Großeltern, wenn dieselben mehrere Kinder hatten, nur theilweise wieder zukommen kann".
Kritisch zeigen sich die Motive zu den sonstigen für eine Einführung des Parentelsystems vorgebrachten Argumenten: ("Anschluss an den natürlichen Bau der Familie, Uebereinstimmung mit dem vermuthlichen Willen des Erblassers, Bewährung des Systems in Oesterreich durch die Abschneidung von Erbschaftsprozessen, Anschluss an eine deutschnationale Grundlage"). Diese Argumente seien entweder nicht unbestritten oder von zweifelhaftem Wert.
Wichtig sei hingegen, dass die tragenden Erwägungen des Parentelsystems einfach und verständlich seien (nähere Verwandte erben vor entfernteren, Repräsentationsprinzip), dass jüngere Generationen in diesem Erbstatut bevorzugt würden, damit sich also ein Prinzip des gemeinen Rechts wiederfinde und zudem ein Schoßfall in Anlehnung an das sächsische Recht begrenzt anerkannt werde, mithin eine Kompromisslösung gefunden wurde.
Unter besonderer Bezugnahme auf das Allgemeine Preußische Landrecht und das sächsische Recht werden nämlich die darin enthaltenen Regelungen abgelehnt, nach denen bei Vorversterben eines Elternteils der andere Elternteil die Geschwister des Erblassers vollständig von der Nachfolge ausschließt. Ein solches Erbstatut begründe zahlreiche "Härten und Unbilligkeiten". Zum einen mangele es an "inneren Gründen", dass "der überlebende Elterntheil von dem Wegfalle des anderen Elterntheiles Vortheil haben soll". Zum anderen würden diejenigen halbbürtigen Geschwister des Erblassers vollständig und nachhaltig von einem späteren Eintritt in die Vermögensmasse ausgeschlossen werden, die nur über den vorverstorbenen Elternteil mit dem Erblasser verwandt waren. § 1925 Abs. 3 S. 2 BGB mit seiner Anordnung des Alleinerbrechts des überlebenden Elternteils, wenn der andere keine Abkömmlinge hinterließ, ist nach den Motiven als mittelbarer Ausdruck der Abschaffung des Prinzips "paterna paternis, materna maternis" zu verstehen.
bb) Erbstatut von Geschwistern
Zur fehlenden expliziten Aufführung des Erbrechts von Halb- und Vollgeschwistern bei Vorversterben eines Elternteils lässt sich in den Motiven finden, dass aus dem Wortlaut des § 1925 BGB hinreichend deutlich werde, dass eine sucessio ordinis innerhalb der Ordnung stattfinde. Vor diesem Hintergrund wurde es nicht für erforderlich gehalten, ausdrücklich zu statuieren, "dass ein Verwandter der nachfolgenden Linie nicht zur Erbfolge gelangt, solange ein zur Erbfolge berechtigter Verwandter einer vorhergehenden Linie vorhanden ist."
Eine Konkretisierung der Erbquoten bei Zusammentreffen von Halbgeschwistern und Vollgeschwistern wurde mit der Überlegung verworfen, dass man nicht hätte bestimmen können, "dass, wenn bei dem Wegfalle beider Eltern vollbürtige Geschwister oder deren Abkömmlinge mit halbbürtigen Geschwistern oder deren Abkömmlingen zusammentreffen, jeder vollbürtige Geschwistertheil oder dessen Stamm für zwei Personen zu rechnen ist und einen doppelten Erbtheil erhält."
Ein solcher Wortlaut würde in manchen Fällen auch zu unrichtigen Ergebnissen führen, wie die Väter des Bürgerlichen Gesetzbuchs erkannt haben. Ihnen schien eine derart explizite Darstellung des Erbrechts von Halbgeschwistern auch unnötig. Sie nahmen an, dass "nicht verkannt werde(n), dass vollbürtige Geschwister sowohl dem Stamme des Vaters als auch dem der Mutter angehören, also nach beiden Richtungen erben, während halbbürtige Geschwister nur in Ansehung des Stamm...