1. Gesetzliche Regelung
a) Inhalt der gesetzlichen Regelung
Das Erbrecht von Halbgeschwistern im Bürgerlichen Gesetzbuch beruht auf der konsequenten Durchsetzung der Grundsätze der Ausschließlichkeit der Parentelen gem. § 1930 BGB, des Eintrittsrechts nach Stämmen bis zur vierten Parentele gem. §§ 1924 Abs. 3, 1925 Abs. 3, 1926 Abs. 5 BGB und der Aufspaltung in eine mütterliche und eine väterliche Linie in der dritten Parentele gem. § 1926 Abs. 3, 4 BGB.
§ 1925 Abs. 1 BGB bestimmt als gesetzliche Erben der zweiten Ordnung die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. Wann Abkömmlinge der Eltern zum Zuge kommen, regelt § 1925 Abs. 3 S. 1 BGB näher: Wenn zur Zeit des Erbfalls der Vater oder die Mutter des Erblassers nicht mehr leben, so werden sie durch ihre Abkömmlinge (ergo die Geschwister und Geschwisterkinder) des Erblassers ersetzt. Ist kein Ehegatte vorhanden, so verteilt sich die auf den verstorbenen Elternteil entfallende Hälfte des Nachlasses innerhalb der Linie gem. § 1924 Abs. 2, 3 BGB nach Stämmen, unter Kindern desselben Stammes nach Kopfteilen gem. § 1924 Abs. 4 BGB.
Damit weicht, in dem Falle, dass ein Elternteil vorverstorben ist, der Elternvorrang dem Erbrecht nach Linien gem. § 1925 Abs. 3 S. 2 BGB.
Keine Auswirkungen hat diese Trennung nach Linien in Fällen, in denen nur Vollgeschwister des Erblassers existieren. Gibt es neben Vollgeschwistern auch Halbgeschwister, so wird die Tragweite der Linientrennung hingegen evident. Vollbürtige Geschwister des Erblassers repräsentieren nämlich sowohl den Vater als auch die Mutter, ersetzen bei ihrem Vorversterben also beide, sodass sie zu mehreren Erbteilen im Sinne des § 1951 BGB berufen sind. Berufungsgrund ist hier die "doppelte" Verwandtschaft mit dem Erblassers sowohl über die Mutter als auch über den Vater des Verstorbenen.
Vor diesem konstruktiven Hintergrund wird auch das Erbrecht der Halbgeschwister klar: Sie sind mit dem Erblasser nur "einfach" verwandt und damit an dem durch den Tod des nicht gemeinsamen Elternteils frei gewordenen Erbteil nicht beteiligt. Als Halbgeschwister erben sie nur mit "einer Hand". Sie sind – soweit sie mit Vollgeschwistern zusammentreffen – nur an dem Erbteil desjenigen Elternteils beteiligt, der sie mit dem Erblasser verwandtschaftlich verbindet.
Ein einfaches Beispiel hierfür: Ein unverheirateter und kinderloser Erblasser hinterlässt eine Schwester und einen Halbbruder, der aus einer früheren Ehe seines Vaters stammt. In dieser Fallgestaltung erbt die Schwester 3/4 des Nachlasses, der Halbbruder "mit einer Hand" 1/4. Hier wird ersichtlich, dass in dieser Konstellation die Geschwister und ihre Abkömmlinge gleichfalls nicht nach Köpfen, sondern nach Stämmen erben.
Da Halbgeschwister genauso wie Vollgeschwister gem. § 1925 Abs. 1 BGB Erben zweiter Ordnung sind, schließen sie die Erben dritter Ordnung aus. Dogmatisch betrachtet wird hier der successio ordinis der Vorrang vor dem Linienprinzip gegeben.
Dieses nach § 1930 BGB zwingende Ergebnis kann dazu führen, dass Halbgeschwister zu Alleinerben berufen werden, wenn keine sonstigen Verwandten der zweiten Ordnung mehr vorhanden sind, obschon Großeltern des Erblassers möglicherweise noch leben. Das herausgestellte Resultat beruht aber nicht allein auf der successio ordinis des § 1930 BGB; es ist auch logisch konsequent zum Regelungsgehalt des § 1925 Abs. 3 S. 2 BGB. Hiernach erbt ein Elternteil alles, wenn der andere Elternteil des Erblassers – ohne weitere Abkömmlinge hinterlassen zu haben – vorverstorben ist. Auch hier schließt der überlebende Elternteil mithin Erben der dritten Ordnung aus. Sollten beide Elternteile vor dem Erblasser verstorben sein, so ist es nur konsequent, dass, wenn keine weiteren gemeinsamen Abkömmlinge der Eltern vorhanden sind, die einseitigen Abkömmlinge eines Elternteils den gesamten Nachlass erben.