Leitsatz
Der Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs in der Wohlverhaltensphase stellt keine Obliegenheitsverletzung des Schuldners dar.
BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 – IX ZB 196/08
Sachverhalt
In dem im August 2000 eröffneten Insolvenzverfahren hat das Insolvenzgericht der Schuldnerin am 13. Juni 2001 die Restschuldbefreiung angekündigt. Während der Wohlverhaltensphase verstarb am 5. Dezember 2004 der Vater der Schuldnerin. Er hinterließ ein gemeinschaftliches Testament mit deren Mutter. Danach setzten sich die Eheleute wechselseitig zu Alleinerben ein. Der Überlebende sollte von den drei Kindern beerbt werden. Bei Verlangen des Pflichtteils nach dem Tod des Erstversterbenden sollte der Abkömmling von der Erbfolge ausgeschlossen sein. Die Schuldnerin machte ihren Pflichtteilsanspruch nicht geltend.
Am 30. November 2005 stellte die Gläubigerin Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verstoßes gegen die Obliegenheit, die Hälfte des Wertes des von Todes wegen erworbenen Vermögens an den Treuhänder abzuführen. Dieser Antrag hatte im ersten Rechtszug Erfolg. Das Beschwerdegericht hat die Entscheidung des Insolvenzgerichts abgeändert und den Versagungsantrag zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung weiter.
Aus den Gründen
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 296 Abs. 3 Satz 1 InsO statthafte und wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in ZVI 2008, 450 (dort fälschlich als rechtskräftig bezeichnet) veröffentlicht ist, meint, aus § 83 Abs. 1 InsO sei die eindeutige Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass allein der Schuldner über die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses oder die Geltendmachung eines Pflichtteils zu entscheiden habe. Hieraus sei der Schluss zu ziehen, dass dies auch in der Wohlverhaltensphase so sei. Zwar gehöre der Pflichtteilsanspruch des Schuldners aufschiebend bedingt durch seine vertragliche Anerkennung oder Rechtshängigkeit zur Insolvenzmasse. An der Zuständigkeit des Pflichtteilsberechtigten für die Frage der Geltendmachung ändere sich hierdurch jedoch nichts. Es stelle deshalb auch keine Obliegenheitsverletzung dar, wenn der Schuldner die Verjährungsfrist ablaufen lasse und damit stillschweigend auf den Anspruch verzichte.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
a) Das Insolvenzgericht versagt die Restschuldbefreiung auf Antrag eines Gläubigers, wenn der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung eine seiner Obliegenheiten verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt (§ 296 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 InsO). Nach § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO obliegt es dem Schuldner, während der Laufzeit der Abtretungserklärung Vermögen, das er von Todes wegen erwirbt, zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder herauszugeben.
b) Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht erfüllt. Eine Obliegenheit, den Pflichtteilsanspruch nach dem Tod ihres Vaters in der Wohlverhaltensphase geltend zu machen und die Hälfte des dadurch erworbenen Betrags an den Treuhänder abzuführen, traf die Schuldnerin nicht.
aa) Der Anspruch auf den Pflichtteil (§ 2303 BGB) entsteht mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1, § 1922 Abs. 1 BGB). Von diesem Zeitpunkt an gehört er zum Vermögen des Pflichtteilsberechtigten (BGHZ 123, 183, 187; BGH, Urt. v. 6. Mai 1997 – IX ZR 147/96, ZIP 1997, 1302; Beschl. v. 18. Dezember 2008 – IX ZB 249/07, ZInsO 2009, 299, 300 Rn 14). Nach § 852 Abs. 1 ZPO ist er allerdings der Pfändung nur unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Diese Vorschrift steht einer Pfändung jedoch nicht entgegen. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Pflichtteilsanspruch bereits vor der vertraglichen Anerkennung oder Rechtshängigkeit als in seiner zwangsweisen Verwertbarkeit aufschiebend bedingter Anspruch gepfändet werden (BGHZ 123, 183, 185 ff; BGH, Urt. v. 6. Mai 1997 – IX ZR 147/96, aaO). Alles pfändbare Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, wird vom Insolvenzverfahren erfasst und gehört zur Insolvenzmasse (HK-InsO/Kayser, 5. Aufl. § 83 Rn 3). Dass nicht der Verwalter, sondern nur der pflichtteilsberechtigte Schuldner über die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs zu entscheiden hat, ändert nichts an der Zugehörigkeit des Anspruchs zur Masse.
Für die Wohlverhaltensphase gilt, dass der Pflichtteilsanspruch als "Erwerb von Todes wegen" im Sinne des § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO anzusehen ist und Neuerwerb in diesem Abschnitt des Verfahrens darstellt, wenn der Erbfall nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens eintritt. Diesen muss der Schuldner zur Hälfte an den Treuhänder abführen, wenn er den Anspruch rechtshängig macht oder ein Anerkenntnis vorliegt. Dies entspricht der B...