(1) Vermögensmehrung nach Testamentserrichtung
Wendet der Erblasser dem Vermächtnisnehmer ein Kontoguthaben zu, das bei Testamentserrichtung nur einen geringen Teil seines Vermögens ausmacht, entstehen Lücken in der letztwilligen Verfügung, wenn zum Zeitpunkt des Erbfalls, z. B. durch eine nach Testamentserrichtung erhaltene Erbschaft oder durch den Zufluss aus einer Veräußerung von anderen Wirtschaftsgütern, das vermachte Kontoguthaben den überwiegenden Teil des Nachlasses darstellt. Im Zweifel ist nicht davon auszugehen, dass der Erblasser das zum Zeitpunkt des Erbfalls vorhandene Guthaben einschließlich des Veräußerungserlöses zuwenden wollte, wenn der Erblasser den Vermächtnisnehmer nicht an dem Erlös partizipieren lassen wollte.
Hat der Erblasser im vorstehenden Beispiel seiner Schwester seine gesamten Kontoguthaben vermacht und veräußert kurz vor dem Erbfall die Eigentumswohnung, deren Erlös auf einem Konto des Erblassers gutgeschrieben wird, wird der hypothetische Erblasserwille dahingehend auszulegen sein, dass er seiner Schwester nur das bei Testamentserrichtung vorhandene Kontoguthaben, nicht aber auch das Guthaben, das aus der Veräußerung der Eigentumswohnung stammt, zuwenden wollte.
Das Vermächtnis kann bei einem Zufluss auf vermachte Konten aber auch so ausgelegt werden, dass dem Vermächtnisnehmer das gesamte zum Zeitpunkt des Erbfalls vorhandene Guthaben zukommen soll, wenn ein entsprechender Begünstigungswille des Erblassers feststellbar ist.
Der Erblasser im vorstehenden Beispiel hat seiner Schwester seine Depots vermacht, die bei Testamentserrichtung einen Depotwert von 200.000 EUR, beim Erbfall hingegen wegen erheblicher Kurssteigerungen einen Wert von 300.000 EUR aufweisen. Hier ist bei Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der Erblasser seiner Schwester das beim Erbfall vorhandene Depotguthaben zuwenden wollte.
(2) Vermögensminderung nach Testamentserrichtung
(a) Zuwendung des Surrogats nach der Auslegungsregel des § 2173 Satz 2 BGB
Das Forderungsvermächtnis begründet nach § 2173 Satz 1 BGB nicht nur einen Anspruch auf die Forderung, sondern im Zweifel auch auf deren Surrogat. Bei dem Vermächtnis einer Geldforderung wird darüber hinaus gem. § 2173 Satz 2 BGB sogar bei Untergang des Surrogats vermutet, dass der Erblasser dem Vermächtnisnehmer einen Zahlungsanspruch in Höhe der vermachten Geldforderung zuwenden wollte. Ist Gegenstand des Vermächtnisses eine dem Erblasser zustehende Forderung, gerichtet auf die Zahlung einer Geldsumme, gilt im Zweifel die vor dem Erbfall zur Erfüllung gezahlte Geldsumme als vermacht, auch wenn sie sich in der Erbschaft nicht mehr vorfindet. Vermacht der Erblasser z. B. die Forderung aus einem Sparkassenbrief oder aus Termingeldern oder eine Forderung verbriefende Wertpapiere, bezieht sich das Vermächtnis auf den Gegenwert, der dem Erblasser in Erfüllung der Forderung zugeflossen ist und auf einem Erblasserkonto gutgeschrieben wurde.
Der hypothetische Erblasserwille kann aber auch dahingehend auszulegen sein, dass das Vermächtnis zu kürzen ist oder gänzlich entfällt, wenn der Erblasser die zur Erfüllung gezahlte Geldleistung ersatzlos verbraucht hat.
(b) Widerlegung der Auslegungsregel bei Sparbüchern und laufenden Konten
Die Auslegungsregel des § 2173 Satz 2 BGB gilt aber bei dem Vermächtnis eines Sparbuchs oder laufenden Kontos als widerlegt, da der Erblasser regelmäßig nur die beim Erbfall noch vorhandene Forderung einschließlich abgehobener und anderweitig angelegter Guthaben vermachen will. Hat der Erblasser nach Testamentserrichtung den vermachten Kontenbestand abgehoben und bei einem anderen Kreditinstitut angelegt, bleibt das Vermächtnis – wenn nicht ausnahmsweise der hypothetische Erblasserwille entgegensteht – bestehen. Als mitvermacht gelten in der Regel auch Guthaben, die der Erblasser nach Testamentserrichtung zwar abgehoben, aber nicht verbraucht hat.
Das Vermächtnis eines Sparbuchs umfasst hingegen nach dem Erblasserwillen regelmäßig nicht das Guthaben, das der Erblasser nach Testamentserrichtung abgehoben und verbraucht hat. Nach allgemeiner Erfahrung ist nur der wirtschaftlich beim Erbfall noch vorhandene Rest des Sparguthabens zugewandt, nicht aber zusätzlich der Gegenwert der vom Erblasser verbrauchten Beträge. Für das Vermächtnis eines Sparbuchs gilt somit zwar grundsätzlich die Auslegungsregel des § 2173 Satz 2 BGB, sodass sich das Vermächtnis auf die zur Erfüllung der Sparforderung geleistete Geldsumme erstreckt, aber mit der Beschränkung auf das beim Erbfall noch vorhandene Guthaben. Diese allgemeine Erfahrungsregel kann jedoch nicht eine Erforschung des Erblasserwillens ersetzen. Es ist daher jeweils im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln, ob entsprechend der allgemeinen Erfahrungsregel nur der vorhandene Rest des Sparguthabens zugewandt werden soll oder ob der Erblasser spätere lebzeitige Verfügungen nicht zulasten des Vermächtnisnehmers gehen lassen wollte, mithin das bei Testament...