Ist bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden, indiziert § 1767 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB die sittliche Rechtfertigung der Adoption. Mithin dürfte der mit der Adoption verfolgte Einzelzweck in diesem Fall überhaupt nicht mehr wesentlich sein. Ob steuerliche Motive nun Hauptzweck, Nebenzweck oder gar unbedeutend für die Adoption sind, müsste gleichgültig sein. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass in Rechtsprechung und Literatur – ohne vorherige Differenzierung, ob bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden ist – teilweise festgestellt wird, steuerliche Motive dürften nur Neben-, nicht aber Hauptzweck der Volljährigenadoption sein.
Diese Feststellung ist schon mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar. Denn nach § 1767 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB gilt: Die sittliche Rechtfertigung ist insbesondere anzunehmen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist. In diesem Fall erübrigt sich jede weitere Prüfung der sittlichen Rechtfertigung und mithin auch die Frage nach Motiven, die die Beteiligten durch die Adoption möglicherweise verfolgen.
Auch dem Willen des historischen Gesetzgebers widerspricht es, im Fall eines bereits entstandenen Eltern-Kind-Verhältnisses nach möglichen Motiven der Beteiligten für die Adoption zu fragen. Evident zeigt das ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des § 1767 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB: Durch das Adoptionsgesetz von 1976 wurde in § 1767 BGB gegenüber den §§ 1745 c, 1754 Abs. 2 BGB aF klargestellt, dass die sittliche Rechtfertigung der Adoption immer dann anzunehmen ist, wenn bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht. Anlass dieser Klarstellung des Gesetzgebers war, dass nach altem Recht die "sittliche Rechtfertigung" der Adoption einerseits und die "Herstellung eines dem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechenden Familienbandes" andererseits ohne Beziehung zueinander an verschiedenen Stellen des Gesetzes geregelt waren. Rechtsprechung und Literatur hatten diesbezüglich keine Einigkeit darüber erzielen können, ob trotz Bestehens eines Eltern-Kind-Verhältnisses die sittliche Rechtfertigung der Adoption im Einzelfall verneint werden konnte. Gerade in Fällen, in denen ein Annehmender und Anzunehmender die Adoption nur um eines Rechtsvorteils willen verfolgten, z. B. um Erbschaftsteuer zu sparen, wurde vor Inkrafttreten des Adoptionsgesetzes diskutiert inwieweit dies zulässig sein kann. Überwiegend wurde damals im Schrifttum für die sittliche Rechtfertigung der Adoption über die Herstellung eines Eltern-Kind-Verhältnisses hinaus ein billigenswertes Motiv der Beteiligten gefordert. F.-W. Krause differenzierte nach dem (erforderlichen) Hauptmotiv der Herstellung eines echten Eltern-Kind-Verhältnisses und dem (noch erlaubten) Nebenmotiv der Steuerersparnis. Durch Einführung des § 1767 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB entzog der Gesetzgeber eben der vorgenannten Auffassung, dass neben einem Eltern-Kind-Verhältnis auch ein billigenswertes Motiv vorliegen müsse, für den Fall, dass bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden ist, den Boden.
Dass es bei einem bereits entstandenen Eltern-Kind-Verhältnis nicht auf den mit der Adoption verfolgten Einzelzweck ankommt, überzeugt auch unter teleologischem Gesichtspunkt: Denn die Adoption bezweckte seit jeher die Entstehung eines natürlichen Kindschaftsverhältnisses. Wo dieses Eltern-Kind-Verhältnis entstanden ist, hat sich der eigentliche Zweck der Adoption realisiert. In diesem Fall haben sich Annehmender und Anzunehmender nach den gesetzlichen Wertungen die Adoption "verdient". Ein familienbezogenes Motiv als Anlass zur Volljährigenadoption wird bei einem bereits entstandenen Eltern-Kind-Verhältnis jedenfalls unwiderlegbar vermutet.
Mithin bleibt festzuhalten: Ist ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden, kommt es auf die mit der Adoption verfolgten Motive der Beteiligten für die Zulässigkeit der Adoption nicht an. Steuerliche Motive, selbst wenn diese Hauptzweck der Adoption sein sollten, hindern die Adoption in diesem Fall nicht. Im Rahmen einer Zulässigkeitsprüfung muss daher immer zunächst geklärt werden, ob ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist.
Praxishinweis
Bei Abfassen des Adoptionsantrags ist unbedingt darauf zu achten, dass zu den Tatsachen, warum ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits besteht, möglichst konkret und unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung herausgebildeten Indizien vorgetragen wird. In der Praxis sind die Anträge häufig nur kurz und floskelhaft abgefasst. Gerade aufgrund der Indizwirkung des § 1767 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB sind die befassten Berater hier gefragt, den Sachverhalt konkret zu ermitteln und in den notariell zu beurkundenden Adop-tionsantrag mit aufzunehmen oder aufnehmen zu lassen.