Bleibt noch die Frage, ob in diesen Fällen dem Betreuer eventuell gemäß § 1796 I, II BGB die Vertretungsmacht entzogen werden kann, wenn der Betreuer oder eine in § 1795 I BGB genannte Person durch die Ausschlagung einen Vorteil erlangen würde. Dann wäre für diesen Fall die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers mit dem entsprechenden Aufgabenkreis erforderlich.
Die bloß denklogische Möglichkeit einer Interessenkollision ohne konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall reicht nach der Rechtsprechung des BGH aber gerade nicht aus, um eine Ergänzungsbetreuung anzuordnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine pauschale Unterstellung eines Interessenkonflikts nicht. Vielmehr ist im Einzelfall anhand konkreter Anhaltspunkte durch den Tatrichter zu ermitteln, ob tatsächlich im konkreten Einzelfall eine solch schwerwiegende Interessenkollision besteht, die zu einer konkreten Konfliktsituation führt.
Hierzu führt der BGH in seinem Beschluss vom 5.3.2008 (XII ZB 2/07) aus: "§ 1796 BGB setzt – anders als § 1795 BGB – einen sich aus dem Einzelfall ergebenden Interessenwiderstreit voraus. Dabei wird nicht verkannt, dass ein ,typischer‘ Interessengegensatz im Regelfall die Annahme rechtfertigen wird, dass es auch im Einzelfall zu Konfliktsituationen kommen kann, denen durch die Bestellung eines Pflegers rechtzeitig vorgebeugt werden soll. Diese Risikogeneigtheit eines ,typischen‘ Interessengegensatzes führt indes nicht zwangsläufig zur Anordnung einer Pflegschaft. Vielmehr liegt es auch hier im Rahmen tatrichterlicher Verantwortung, nach einer Abwägung aller Umstände zu entscheiden, ob eine vorbeugende Pflegschaftsanordnung geboten oder ein Zuwarten – auch im wohlverstandenen Interesse des Vertretenen – ratsam erscheint. Letzteres mag sich für den Tatrichter namentlich dann anbieten, wenn ein minderjähriger Erbe von seinem zugleich zum Testamentsvollstrecker berufenen Elternteil gesetzlich vertreten wird und wenn aufgrund der bisherigen Erfahrungen und des engen persönlichen Verhältnisses der Beteiligten keinerlei Anlass zu der Annahme besteht, der Vertreter werde – unbeschadet seiner eigenen Interessen – die Belange des Vertretenen nicht im gebotenen Maße wahren und fördern."
Das OLG Brandenburg führt mit Beschluss vom 6.12.2010 (9 UF 61/10) aus: "Derartige Interessengegensätze dürfen nicht allgemein vermutet werden, sondern müssen jeweils im Verfahren konkret festgestellt werden. § 1796 BGB setzt einen sich aus dem Einzelfall ergebenden Interessenwiderstreit voraus."
Bei der Frage, ob der Betreute die Vorerbschaft nach § 2306 I BGB ausschlagen und stattdessen den Pflichtteil geltend machen soll, ist bei Behindertentestamenten ein erheblicher Interessengegensatz in der Regel nicht ersichtlich. Zum einen haben die Eltern diese Testamentsgestaltung in Form des Behindertentestaments ja gerade gewählt, um dem Betreuten eine Teilhabe am Nachlass zu ermöglichen, die sicher vor einem Sozialhilferegress ist. Eine Ausschlagung würde dies gerade zunichte machen. Zum anderen ergibt sich in den allermeisten Fällen weder durch die Ausschlagung noch durch die Annahme der Vorerbschaft ein materieller Vorteil der anderen Beteiligten:
Die Miterbin-Betreuerin hat durch die Ausschlagung der Erbschaft keinen materiellen Vorteil, da Sie ja dann in der Regel Alleinerbin würde und dem Betreuten sodann ein Pflichtteilsanspruch in fast gleicher Höhe wie seine Vorerbteilsquote zustehen würde. Dieser Pflichtteilsanspruch des Betreuten würde wiederum den eigenen Erbanspruch der Miterbin-Betreuerin belasten.
Ein etwaiger Nacherbe-Betreuer würde allenfalls dann einem Interessenkonflikt unterliegen, wenn er durch die Ausschlagung des Betreuten zum Ersatzerben würde, was in der Regel aber beim Behindertentestament testamentarisch ausgeschlossen wird. Somit gilt in der Regel die Auslegungsregel des § 2102 BGB nicht. Die bloße Aussicht, nach dem Tode des Vorerben irgendwann Nacherbe zu werden, reicht zumindest für die Frage Ausschlagung/Annahme als Anhaltspunkt für einen Interessengegensatz nicht aus.
Wenn der Betreuer zugleich Testamentsvollstrecker ist, ist zumindest hinsichtlich der Frage Ausschlagung/Annahme der Erbschaft ebenfalls kein Interessenkonflikt ersichtlich, weil weder die Annahme noch die Ausschlagung dem Testamentsvollstrecker-Betreuer irgendwelche konkreten Vorteile bringen. Allenfalls wäre noch an den Vergütungsanspruch des Testamentsvollstreckers zu denken. Dieser ist aber in der Regel ohnehin testamentarisch ausgeschlossen, wenn der Testamentsvollstrecker dem Familienkreis entspringt. Im Übrigen steht gerade beim Behindertentestament der Vergütungsanspruch sicherlich in keinem Verhältnis zum Arbeitsaufwand.
Zudem müsste zumindest die Ausschlagung auch in allen Fällen vom Betreuungsgericht genehmigt werden, sodass eine Entscheidung zulasten des Betreuten von vornherein gar nicht möglich wäre.
Praxistipp: Um möglichen Aktivitäten des Betreuungsgerichts vorzubeugen, sollte der Betreuer die Vorerbschaft für das Mündel möglich...