Beim Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts handelt es sich um eine sog. "doppeltrelevante Tatsache": Er gewinnt Bedeutung nicht nur im Rahmen der Zulässigkeit der Klage bei der (IZPR-)Frage nach der internationalen Zuständigkeit (Art. 4 EU-ErbVO), sondern auch im Rahmen der Begründetheit der Klage bei der kollisionsrechtlichen (= IPR-)Frage nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbaren Recht (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO). Der Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" ist in Art. 4 EU-ErbVO und Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO einheitlich auszulegen.
Gleichwohl vermag die – bei Prüfung des Art. 4 EU-ErbVO für das Zweitgericht verbindliche – Feststellung des Erstgerichts zum gewöhnlichen Aufenthalt das Zweitgericht bei der kollisionsrechtlichen Beurteilung des Falls nach Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO nicht zu binden: Zwar ließe sich für eine solche Bindung der allgemeine Zweck des "Gleichlaufs" anführen, wonach jedes mitgliedstaatliche Gericht möglichst sein eigenes Recht anwenden soll. Es gibt allerdings keinen Rechtssatz innerhalb der EU-ErbVO, dass ein mitgliedstaatliches Gericht stets und zwingend sein eigenes Sachrecht anwendet: Ein Gericht, das etwa die Ausnahmeklausel des Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO zur Anwendung bringt, muss fremdes (Sach-)Erbrecht anwenden, bleibt aber nach Art. 4 EU-ErbVO zuständig.
Zudem reicht die Bindungswirkung nach Art. 39 Abs. 1 EU-ErbVO nur so weit, wie das Erstgericht eine Entscheidung getroffen hat; sie erstreckt sich bei einem abweisenden Prozessurteil nur auf Fragen der Zulässigkeit, nicht aber auf Fragen der Begründetheit. Eine Bindung in der Hauptsache kann von einem Prozessurteil niemals ausgehen. Eine Bindung des Zweitgerichts nach Art. 39 Abs. 1 EU-ErbVO besteht daher nur zur Frage der internationalen Zuständigkeit (Art. 4 EU-ErbVO), nicht aber zu der (zur Begründetheit zählenden) Frage nach dem anwendbaren Recht (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO).
Wenn auch rechtlich keine Bindung des Zweitgerichts im Rahmen der Subsumtion unter Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO besteht, dürfte es faktisch in der Praxis doch dazu kommen, dass im Falle einer Unzuständigerklärung nach Art. 15 EU-ErbVO die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten der Einschätzung des Erstgerichts zum gewöhnlichen Aufenthaltes nicht nur – wie es rechtlich geboten ist – im Rahmen der eigenen Zuständigkeitsbeurteilung nach Art. 4 EU-ErbVO folgen werden, sondern auch – wie es rechtlich nicht geboten ist – im Rahmen der kollisionsrechtlichen Beurteilung nach Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO: Die Bereitschaft der Gerichte, ein fremdes Sachrecht anzuwenden, dürfte sich angesichts der hiermit verbundenen praktischen Schwierigkeiten in Grenzen halten, zumal eine von der Zuständigkeitsbeurteilung des Erstgerichts abweichende kollisionsrechtliche Festlegung des gewöhnlichen Aufenthalts den Verfahrensparteien nur schwer zu vermitteln sein wird.