Keine Probleme bereitet die Lösung in den Beispielsfällen 1 und 2, wenn das italienische und das deutsche Gericht die Frage nach dem gewöhnlichen Aufenthalt jeweils gleich beantworten: Sehen beide Gerichte den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes in Deutschland, halten beide (nur) die deutschen Gerichte nach Art. 4 EU-ErbVO für zuständig; sehen beide Gerichte den gewöhnlichen Aufenthalt in Italien, halten beide (nur) die italienischen Gerichte nach Art. 4 EU-ErbVO für zuständig. Problematisch ist es aber, wenn die Gerichte beider Mitgliedstaaten die Frage unterschiedlich beantworten. Dabei kann ein Dissens der Gerichte in zwei Richtungen auftreten:
a) Positiver Kompetenzkonflikt
Zum einen erscheint denkbar, dass beide Gerichte den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers jeweils in ihrem eigenen Mitgliedstaat sehen, sodass sich beide nach Art. 4 EuErbVO für zuständig halten; es handelt sich um einen sog. "positiven Kompetenzkonflikt", weil mehrere mitgliedstaatliche Gerichte sich für zuständig halten. Dieser Konflikt wird nach dem Prioritätsprinzip des Art. 17 EU-ErbVO aufgelöst: Hält sich das zuerst angerufene Gericht nach Art. 4 EU-ErbVO für zuständig, so hat sich das andere, später angerufene Gericht nach Art. 17 Abs. 2 EU-ErbVO zugunsten des ersteren für unzuständig zu erklären.
In Beispiel 1 hat das deutsche Gericht als das später angerufene Gericht zunächst das Verfahren nach Art. 17 Abs. 1 EU-ErbVO auszusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn das deutsche Gericht den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers in Deutschland sieht und das italienische Gericht daher nicht nach Art. 4 EU-ErbVO für international zuständig hält. Ist das zuerst angerufene italienische Gericht der Ansicht, dass sich der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers in Italien befunden habe, und erklärt es sich daher nach Art. 4 EU-ErbVO für international zuständig, so hat sich das später angerufene deutsche Gericht nach Art. 17 Abs. 2 EU-ErbVO zugunsten des italienischen Gerichts für unzuständig zu erklären.
b) Negativer Kompetenzkonflikt
Denkbar erscheint aber auch der umgekehrte Fall, nämlich dass beide Gerichte den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im jeweils anderen Mitgliedstaat sehen und sich beide nicht nach Art. 4 EU-ErbVO für zuständig halten; es handelt sich um einen sog. "negativen Kompetenzkonflikt", weil keines von mehreren mitgliedstaatlichen Gerichten sich für zuständig hält. Auch hier findet zunächst Art. 17 Abs. 1 EU-ErbVO Anwendung, wonach das später angerufene Gericht seine Entscheidung aussetzt, bis das zuerst angerufene Gericht über seine internationale Zuständigkeit entschieden hat. Erklärt sich das zuerst angerufene (in Beispiel 1 und 2: italienische) Gericht nach Art. 15 EU-ErbVO für unzuständig, wird die Frage relevant, ob und inwieweit diese Unzuständigerklärung für das später angerufene (in Beispiel 1 und 2: deutsche) Gericht Bindungswirkung entfaltet, diesem also eine eigene Unzuständigerklärung verwehrt.