Einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz des Bürgers zu gewährleisten, ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, in Artt. 6 und 13 EMRK verankert und auch in Art. 47 EU-Grundrechtecharta bekräftigt worden ist. Eine Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften der sekundärrechtlichen EU-ErbVO muss diese primärrechtlichen Vorgaben beachten und umsetzen. Da die Artt. 4 ff EU-ErbVO ein geschlossenes Zuständigkeitssystem vorsehen, das einen Rückgriff auf nationale Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit nicht zulässt (vgl. Erwägungsgrund 30), müssen die Vorschriften der EU-ErbVO selbst eine Lösung des negativen Kompetenzkonflikts bereithalten, die im Ergebnis eine Unzuständigerklärung aller mitgliedstaatlichen Gerichte vermeidet.
Könnte sich in Beispiel 1 nach dem zuerst angerufenen italienischen Gericht auch das deutsche Gericht mit der Begründung für unzuständig erklären, dass der gewöhnliche Aufenthalt iSv Art. 4 EU-ErbVO nicht im eigenen Gerichtsstaat liege, so wäre im Ergebnis überhaupt kein mitgliedstaatliches Gericht für die gerichtliche Entscheidung über die Erbauseinandersetzung zwischen A und B zuständig: Würde einer der Beteiligten nach den klageabweisenden Prozessurteilen des italienischen und des deutschen Gerichts etwa ein französisches Gericht anrufen, könnte dieses seine internationale Zuständigkeit nicht auf Art. 10 Abs. 2 EU-ErbVO stützen, da diese Vorschrift über die subsidiäre Zuständigkeit nicht anwendbar ist, wenn lediglich unklar ist, in welchem von zwei Mitgliedstaaten der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers liegt. Hierdurch würden A und B rechtsschutzlos gestellt.
aa) Vorlage zum EuGH zwecks Lösung negativer Kompetenzkonflikte?
Das nationale deutsche Zuständigkeitsrecht sieht zur Lösung eines negativen Kompetenzkonflikts – d. h. in Fällen, in denen verschiedene Gerichte, von denen eines für das Verfahren zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben – in § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO und § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG Regelungen vor, wonach das zuständige Gericht durch das nächsthöhere gemeinsame Gericht bestimmt wird. Versucht man diesen Rechtsgedanken für den negativen Kompetenzkonflikt im Bereich der Artt. 4 ff EU-ErbVO fruchtbar zu machen, erscheint es auf den ersten Blick als denkbar, den Unzuständigkeitsstreit zweier mitgliedstaatlicher Gerichte durch Befragung des EuGH als dem nächsthöheren gemeinsamen Gericht zu lösen – anstatt (wie hier vorgeschlagen) durch eine strikte Bindung des Zweitgerichts an die Subsumtion des Erstgerichts unter Art. 4 EU-ErbVO.
bb) Entscheidungsspielraum mitgliedstaatlicher Gerichte
Durch eine Befassung des EuGH mit der Rechtssache ließe sich allerdings der negative Kompetenzkonflikt zweier mitgliedstaatlicher Gerichte nicht vollständig lösen – und damit ein effektiver Rechtsschutz für den betroffenen Bürger (anders als bei einer strikten Bindung des Zweitgerichts an die Subsumtion des Erstgerichts) nicht in allen Fällen erreichen:
Zwar kann das Zweitgericht, das von der Zuständigkeitsbeurteilung des Erstgerichts und dessen Auslegung der Artt. 4 ff EU-ErbVO und Subsumtion hierunter abweichen will, den EuGH durch eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV mit der Rechtssache befassen. Die Vorlagefrage im Verfahren nach Art. 267 AEUV kann das vorlegende Zweitgericht aber nicht dergestalt stellen, wie in (s)einem konkreten Fall die Subsumtion zu erfolgen hat. Der EuGH steckt durch seine Auslegung der Artt. 4 ff EU-ErbVO nur einen Rahmen für deren Anwendung ab, Subsumtion und Umsetzung im konkreten Fall bleiben Aufgabe des vorlegenden nationalen Gerichts.
Die für die Auslegung des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" in Art. 4 EU-ErbVO erforderliche Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls (vgl. Erwägungsgrund 23 Satz 2) ist daher keine Aufgabe des EuGH, sondern obliegt dem vorlegenden mitgliedstaatlichen Gericht, dem hierbei ein erheblicher Entscheidungsspielraum eingeräumt wird – freilich unter Beachtung der Rechtsauffassung des EuGH. Damit erscheint es trotz Vorlage nach Art. 267 AEUV an den EuGH nicht als ausgeschlossen, dass zwei mitgliedstaatliche Gerichte im Rahmen ihrer eigenen Gesamtbeurteilung – und zwar beide "vertretbar" – zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen und den gewöhnlichen Aufenthalt iSv Art. 4 EU-ErbVO in unterschiedlichen Mitgliedstaaten verorten.
Sofern man in Beispiel 1 eine Bindung des (deutschen) Zweitgerichts an die Subsumtion des (italienischen) Erstgerichts unter die Voraussetzungen des Art. 4 EU-ErbVO verneint, könnten sich beide Gerichte im Rahmen der nach Art. 4 EU-ErbVO vorzunehmenden G...