1. Gleiche Rechtsbegriffe in Art. 6 EU-ErbVO und Art. 7 EU-ErbVO
Das grundsätzlich nach Art. 4 EU-ErbVO zuständige Gericht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers (= "Aufenthaltsgericht") subsumiert bei der Frage, ob es sich selbst für international unzuständig erklären kann oder muss, unter die Voraussetzungen des Art. 6 EU-ErbVO, während ein Gericht des Mitgliedstaats der Staatsangehörigkeit des Erblassers (= "Staatsangehörigkeitsgericht") bei der Frage, ob es selbst international zuständig ist, unter die Voraussetzungen des Art. 7 EU-ErbVO subsumiert. Obwohl beide mitgliedstaatliche Gerichte demnach unterschiedliche Zuständigkeitsvorschriften anwenden, stellen sich für beide Gerichte partiell die gleichen Rechtsfragen:
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Sowohl die Unzuständigerklärung des Aufenthaltsgerichts nach Art. 6 EU-ErbVO als auch die Zuständigkeit des Staatsangehörigkeitsgerichts nach Art. 7 EU-ErbVO setzen voraus, dass der Erblasser in einer Verfügung von Todes wegen eine Rechtswahl iSv Art. 22 EU-ErbVO zugunsten des Rechts seiner Staatsangehörigkeit getroffen hat. |
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Sowohl die Unzuständigerklärung des Aufenthaltsgerichts nach Art. 6 lit. b EU-ErbVO als auch die Zuständigkeit des Staatsangehörigkeitsgerichts nach Art. 7 lit. b EU-ErbVO setzen eine Gerichtsstandsvereinbarung iSv Art. 5 EU-ErbVO voraus. |
2. Unschärfe der Begriffe "Rechtswahl" und "betroffene Parteien"
Theoretisch müssten Aufenthaltsgericht und Staatsangehörigkeitsgericht sowohl bei der Subsumtion unter Art. 22 EU-ErbVO als auch bei der Subsumtion unter Art. 5 EU-ErbVO stets zum gleichen Ergebnis kommen, da beide Vorschriften verordnungsautonom – und damit von beiden Gerichten einheitlich – auszulegen sind.
Die Möglichkeit einer konkludenten Rechtswahl nach Art. 22 Abs. 2 EU-ErbVO weist jedoch Unschärfen dahingehend auf, wann sich eine Rechtswahl noch aus den Bestimmungen einer Verfügung von Todes wegen ergibt und welche "Andeutung" hierfür in der Verfügung von Todes wegen erforderlich ist. Bei der Subsumtion unter Art. 5 EU-ErbVO kann die Bestimmung der "betroffenen Parteien" Schwierigkeiten bereiten in Erbsachen, die funktional der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit dem hier geltenden Amtsermittlungsgrundsatz zuzuordnen sind, wie etwa im Verfahren auf Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (vgl. Art. 67 Abs. 1 Satz 1 EU-ErbVO). Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass Aufenthaltsgericht und Staatsangehörigkeitsgericht bei der Subsumtion unter Art. 22 EU-ErbVO oder Art. 5 EU-ErbVO im konkreten Einzelfall "vertretbar" zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.
Während ein positiver Kompetenzkonflikt auch hier nach dem Prioritätsprinzip des Art. 17 Abs. 2 EU-ErbVO gelöst wird, erscheint die Lösung eines negativen Kompetenzkonflikts unklar. Zu untersuchen ist daher, ob und inwieweit ...
... eine Unzuständigerklärung des Aufenthaltsgerichts gemäß Art. 6 EU-ErbVO für das später angerufene Staatsangehörigkeitsgericht Bindungswirkung entfaltet,
... eine Unzuständigerklärung des Staatsangehörigkeitsgerichts gemäß Art. 15 EU-ErbVO für das später angerufene Aufenthaltsgericht Bindungswirkung entfaltet.