Lässt sich die Entscheidung EuGH, Urt. v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11 zur Bindungswirkung ausländischer Prozessurteile auf die EU-ErbVO übertragen?
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In Erbfällen ab dem 17.8.2015 richtet sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß Art. 83 Abs. 1 EU-ErbVO nicht mehr nach den §§ 105, 343 f FamFG oder den (doppelfunktional angewandten) §§ 12, 13, 27, 28 ZPO, sondern nach Artt. 4 ff EU-ErbVO. Hat sich bereits ein zuvor angerufenes Gericht eines anderen Mitgliedstaats nach Art. 4 ff EU-ErbVO für international unzuständig erklärt, so stellt sich die Frage, inwieweit diese Entscheidung – zwecks Vermeidung eines negativen Kompetenzkonflikts – für das deutsche Gericht bei Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit Bindungswirkung entfaltet. Im vorliegenden Beitrag wird dabei untersucht, ob sich das zur EU-GVO ergangene Urteil des EuGH in der Rechtssache "Gothaer Allgemeine Versicherung AG u. a. / Samskip GmbH" auch für die EU-ErbVO fruchtbar machen lässt und welche Anwendungsfelder für eine Bindungswirkung sich im Bereich der Artt. 4 ff EU-ErbVO ergeben können.
A. Ursachen negativer Kompetenzkonflikte bei Art. 4 EU-ErbVO
I. Der "Gleichlauf" von forum und ius
Art. 4 EU-ErbVO und Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO streben einen "Gleichlauf" von internationaler Zuständigkeit (forum) und anwendbarem Recht (ius) an, indem sowohl die internationale Zuständigkeit als auch das anwendbare Sachrecht dem gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt des Todes des Erblassers unterliegen. Mit diesem Gleichlauf bezweckt der Verordnungsgeber, dass ein mitgliedstaatliches Gericht regelmäßig sein eigenes Sachrecht anwenden kann, wie sich ausdrücklich auch aus Erwägungsgrund 27 Satz 1 ergibt.
Der "Gleichlauf" dient dabei der Verfahrensökonomie und der Gerechtigkeit: Gerichte, die ihr eigenes Sachrecht anwenden, entscheiden erstens mit höherer Richtigkeitsgewähr, zweitens schneller und drittens kostengünstiger als bei Anwendung ausländischen Rechts. Die Regelungen über die internationale Zuständigkeit in Kapitel II der EU-ErbVO folgen daher im Grundsatz den kollisionsrechtlichen Regelungen in Kapitel III über das anwendbare Recht.
II. Unterschiedliche Interessenlagen in IPR und IZPR
Auch wenn der "Gleichlauf" rechtspolitisch zu begrüßen ist, dürfen die damit einhergehenden Probleme in der Rechtsanwendung nicht übersehen werden. Kollisionsrechtliche Anknüpfung im Rahmen des Internationalen Privatrechts (IPR) und internationale Zuständigkeit im Rahmen des Internationalen Zivilprozessrechts (IZPR) dienen partiell unterschiedlichen Interessen und Zwecken:
Während es bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung darum geht, den typischen Schwerpunkt ("Sitz") eines Rechtsverhältnisses festzulegen, mithin um materielle Wertungsinteressen, geht es bei der Frage nach der internationalen Zuständigkeit vor allem um formale Interessen. Im Interesse des rechtssuchenden Bürgers an einem effektiven Rechtsschutz müssen die zuständigkeitsbegründenden Umstände und damit der Gerichtsstand ex ante vorhersehbar und damit möglichst einfach feststellbar sein, damit ein langer Streit über die Zulässigkeit der Klage vermieden wird und dem Bürger die Odyssee erspart bleibt, unter mehreren denkbaren Gerichten das z...