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Das Vereinigte Königreich – oder, um der Kürze willen, Großbritannien – ist Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und bleibt das auch nach seinem Austritt aus der EU. Deshalb gelten die Grundfreiheiten des Abkommens und die deutschen Bestimmungen, die an eine Zugehörigkeit zum EWR anknüpfen, im Verhältnis von Deutschland und Großbritannien unverändert fort. Das ändert sich erst, wenn Großbritannien auch aus dem EWR austritt oder wenn Deutschland das EWR-Abkommen gegenüber Großbritannien beendet oder suspendiert.
I. Vormerkung
In den bisherigen Fachbeiträgen ist das EWR-Abkommen nicht ausreichend berücksichtigt worden. Vielfach wird erwogen, ob Großbritannien gleich Norwegen Mitglied des EWR werden soll, eventuell nach Neumitgliedschaft in der EFTA. Aber solche Gedankenspiele erübrigen sich. Denn Großbritannien ist Vertragspartei des EWR-Abkommens und bleibt das auch nach seinem Austritt aus der EU. Ihm muss nicht erst gegeben werden, was es schon hat.
II. Bedeutung des EWR-Abkommens
Das EWR-Abkommen vom 2.5.1992 ist ein Assoziierungsabkommen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten mit den EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen. Es hat zum Ziel, zwischen den Vertragsparteien eine beständige und ausgewogene Stärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu fördern, um einen homogenen Europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen.
Die Grundfreiheiten des Abkommens – der freie Warenverkehr, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Selbständigen und die Niederlassungsfreiheit für natürliche Personen und Gesellschaften, der freie Dienstleistungsverkehr und der freie Kapitalverkehr – haben ihr Vorbild in den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts. Dieses EWR-Recht – so immer noch zutreffend Burtscher – spiegelt die Rechtslage in der Gemeinschaft wieder, sodass die EWR-Mitgliedschaft materiellrechtlich einer "Quasi-Teilmitgliedschaft" in der EU sehr nahe kommt. In organisationsrechtlicher Hinsicht sieht das EWR-Abkommen einen EWR-Rat und einen Gemeinsamen EWR-Ausschuss vor. Außerdem haben die EFTA-Staaten eine EFTA-Überwachungsbehörde und einen EFTA-Gerichtshof (EFTA-GH) gegründet. Deren Zuständigkeiten für die EFTA-Staaten entsprechen denen der EU-Kommission und des EuGH für die EU-Mitgliedsstaaten.
Der EuGH hat in seinem Gutachten vom 14.12.1991 ausgeführt, der EWR beruhe auf einem völkerrechtlichen Vertrag, der Rechte und Pflichten im Wesentlichen nur zwischen den Vertragsparteien begründe; ihm komme für die Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten keine unmittelbare Wirkung zu. Aber dabei ist es nicht geblieben. Der EFTA-GH hat dem EWR-Abkommen eine unmittelbare Drittwirkung zuerkannt; dem hat sich das Gericht erster Instanz angeschlossen. Ihren Abschluss hat diese Entwicklung in Entscheidungen des EuGH gefunden, wonach die Grundfreiheiten des EWR-Abkommens den gleichen Anwendungsvorrang genießen wie die Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts.
III. Geltung erga omnes
Das EWR-Abkommen ist zwischen der EWG und ihren Mitgliedsstaaten sowie den EFTA-Staaten als je einer Gruppe abgeschlossen worden. Aber die Grundfreiheiten gelten dessen ungeachtet im Verhältnis aller Vertragsparteien untereinander, also auch unter den Mitgliedern der beiden Gruppen je für sich allein.
Der EuGH stützt seine Entscheidungen, die nur Mitgliedsstaaten der EU betreffen, zwar allein auf das Gemeinschaftsrecht. Das EWR-Abkommen erwähnt er bislang nur, wenn ein EFTA-Staat an dem Geschehen beteiligt ist. Der EFTA-GH hingegen wendet das Abkommen auch im Verhältnis der EFTA-Staaten untereinander an. So hat er am 22.7.2013 entschieden, dass sich ein norwegischer Staatsangehöriger, dem die Einreise in Island verweigert wurde, auf das EWRA und darüber auf eine EU-Richtlinie berufen konnte, die in Anhänge des EWRA übernommen worde...