I. Einleitung
Ist eine Testamentsvollstreckung angeordnet, so stimmt kurz gesagt irgendetwas nicht, es gab dafür – jedenfalls aus Sicht des Erblassers – ein Motiv: Dies kann in der Person des Erblassers selbst liegen (manche können nicht loslassen), in dem oder den Erben und/oder im Nachlass. Und selbst wenn der benannte Testamentsvollstrecker den Erblasser bei der Gestaltung begleitet hat und sein Amt nach dessen Tod nun antritt, muss dem Testamentsvollstrecker klar sein, dass bis zum Erbfall sich die Familiensituation geändert haben könnte – auf alle Fälle aber, dass sich der Nachlass seit der Testamentserrichtung weiterentwickelt hat oder sich die Ziele des Erblassers geändert haben könnten, ohne davon zu erfahren.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Pflicht des Testamentsvollstreckers, das Testament eigenverantwortlich auszulegen, zusätzliches Gewicht. Denn er muss seine Pflichten, wie sie sich aus den letztwilligen Verfügungen ergeben, mit dem Willen des Erblassers abgleichen: Er muss die "Zwecke, um derentwillen der Erblasser die Testamentsvollstreckung angeordnet hat, nach besten Kräften zu verwirklichen trachten."
Indes birgt die fehlende Auslegungshoheit des Testamentsvollstreckers ein (Haftungs)Risiko für seine Person und für die Nachlassverwaltung. Denn geht es um die ordnungsgemäße Nachlassverwaltung bzw. um "Anordnungen ... für die Verwaltung" (§ 2216 Abs. 2 S. 1 BGB), wird der Testamentsvollstrecker bei der Auslegung immer Richter in eigener Sache sein und die von Rechtsprechung und Literatur ein- bzw. vorgeschlagenen Wege, dem Testamentsvollstrecker die Auslegungshoheit zu sichern, greifen nicht. Auch die Rechtsprechung, wonach eine Auslegung durch den Testamentsvollstrecker dann nicht schuldhaft pflichtwidrig ist, wenn er nach "sorgfältiger Ermittlung aller erkennbaren erheblichen Umstände zu einer immerhin vertretbaren Auslegung des Testaments gelangt", gibt dem Testamentsvollstrecker nicht die Sicherheit, die er braucht.
II. Der Antrag auf Außerkraftsetzung gemäß § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB als Schutzmaßnahme für Nachlass und Testamentsvollstrecker sowie der Inhalt der Außerkraftsetzung nach herrschender Meinung
Gelingt es dem Testamentsvollstrecker nicht, sich in dieser zentralen Frage Klarheit zu verschaffen, eröffnet ihm das Gesetz womöglich doch noch einen Weg, an den Nachlass ohne (Haftungs)Risiken herangehen zu können: Sofern es sich bei der Vorgabe des Erblassers um eine Anordnung im Sinne von § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB handelt, kann und muss er versuchen, mit einem Antrag gemäß § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB die Anordnung des Erblassers vom Nachlassgericht außer Kraft setzen zu lassen, "wenn ihre Befolgung den Nachlass erheblich gefährden würde." Die Prüfung dieser Frage und ggf. die Antragstellung gehören zum Pflichtenprogramm des Testamentsvollstreckers als Teil der ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung. § 2220 BGB ist eindeutig: der Erblasser kann den Testamentsvollstrecker von dieser Pflicht nicht befreien.
Die herrschende Meinung geht davon aus, dass das Gericht, sofern es dem Antrag des Testamentsvollstreckers nach § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB folgt, eine besondere Verwaltungsanordnung des Erblassers "nur" ganz oder teilweise (bei Abtrennbarkeit selbstständiger Teile) aufheben, nicht aber eine eigene ersetzende Anordnung treffen kann. Die herrschende Meinung scheint auf den ersten Blick klar und in der Praxis auch umsetzbar und ausreichend zu sein, denn wenn die Anordnung gemäß § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB (teil-)aufgehoben und die Nachlassgefährdung beseitigt ist, kann der Testamentsvollstrecker den Nachlass gemäß § 2216 Abs. 1 BGB (wieder) sachgerecht verwalten.
Die nachfolgenden Ausführungen werden daher versuchen, den Blick zu schärfen und selbigen auf die Praxis nicht zu verlieren, bei dem Bemühen zu zeigen, dass die herrschende Meinung Wortsinn, Entstehungsgeschichte, Gesetzeszweck und –systematik des § 2216 BGB nicht bzw. zu wenig beachtet, die heutigen hohen Anforderungen an die Nachlassverwaltung außer Acht lässt, und im Übrigen bei einem zentralen Gesichtspunkt unklar und methodisch zweifelhaft ist – und hiermit wollen wir fortfahren.