Einführung
Das Steuerrecht hat Schwierigkeiten mit der sachgerechten Erfassung der vielgestaltigen, oft schicksalshaften Sachverhalte des Zuzugs und Wegzugs natürlicher Personen nach und aus Deutschland. Dies gilt nicht nur für die Ertragsteuern, sondern besonders auch für die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Angesichts weniger deutscher Doppelbesteuerungsabkommen für die Erbschaftsteuer verkörpert das deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht nicht selten eine hohe Hürde für den Zuzug vermögender Ausländer. Der Beitrag gibt einen Überblick über die steuerlichen Problemstellungen bei der Vermögensnachfolge in Zuzugs- und Wegzugsfällen.
A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Folgen des Zuzugs
Erbschaftsteuerlichen Folgen eines Zuzugs nach Deutschland werden häufig übersehen. Für die Begründung der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht in Deutschland genügt ein Wohnsitz sowohl des Erblassers (Schenkers) als auch des Erwerbers (Beschenkten) im Inland (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. a) ErbStG). Da Todesfälle bisweilen unerwartet eintreten, birgt das Vorhandensein eines Wohnsitzes in Deutschland somit oft unterschätzte Erbschaftsteuerrisiken. Typische Praxisfälle sind Ausländer, die zum Studium oder zum Arbeiten für eine gewisse Zeit nach Deutschland kommen und während dieser Zeit Verwandte in ihrem Heimatland beerben oder Schenkungen erhalten, oder während ihrer Zeit in Deutschland selbst verunglücken.
1. Anforderungen an die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht
Das deutsche Recht unterscheidet zwischen der unbeschränkten und der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht. Die unbeschränkte Steuerpflicht setzt einen Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland voraus. Dabei spielt der gewöhnliche Aufenthalt angesichts eines sehr weiten Wohnsitzbegriffs praktisch kaum eine Rolle. Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen will (§ 8 AO). Dies kann jeder Raum sein, der zum dauerhaften Wohnen geeignet und bestimmt ist. Ein jährlicher Mindestaufenthalt ist nicht nötig, ebenso wenig muss es sich um den Mittelpunkt der Lebensinteressen handeln, weshalb eine Person mehrere Wohnsitze im In- und Ausland haben kann. Die ältere Rechtsprechung legte den Wohnsitzbegriff weit aus: Ein dauerhaft exklusiv genutztes Hotelzimmer kann ebenso ein steuerlicher Wohnsitz sein wie eine ausgebaute Gartenlaube oder ein Reihenhaus, das über Jahre hinweg je zweimal im Jahr für wenige Wochen genutzt wird. In mehreren Urteilen der jüngeren Zeit verfolgt der BFH eine etwas restriktivere Linie. Mit BMF-Schreiben vom 7.8.2017 hat die Verwaltung die Rechtsprechung zum Wohnsitz im Anwendungserlass zu § 8 AO systematisch zusammengefasst. Dadurch wird zu einigen Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Begründung oder Aufgabe eines Wohnsitzes im Inland ein gewisses Maß an Verlässlichkeit geschaffen:
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Eine kurzfristige, vorübergehende oder notdürftige Unterbringung ist keine Wohnung. |
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Die Wohnung muss dem Steuerpflichtigen jederzeit zur freien Verfügung stehen. Kann der Steuerpflichtige die Wohnung aufgrund von Absprachen mit mehreren Wohnungsnutzern nicht jederzeit frei nutzen, ist kein Wohnsitz anzunehmen. |
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Erforderlich ist eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und unregelmäßige kurze Aufenthalte zu Erholungs- oder Verwaltungszwecken hinausgeht. |
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Wer eine Wohnung von vornherein in der Absicht nimmt, sie nur vorübergehend (für bis zu sechs Monate) beizubehalten und zu benutzen, begründet dort keinen Wohnsitz. Umgekehrt kann ein Wohnsitz anzunehmen sein, wenn der Steuerpflichtige seine Wohnung während eines Auslandsaufenthalts vorübergehend (bis zu sechs Monate) vermietet oder untervermietet, um sie nach seiner Rückkehr wieder selbst zu nutzen. |
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Wer sich – auch regelmäßig – in der Wohnung eines Angehörigen oder Bekannten aufhält, begründet dort grundsätzlich keinen Wohnsitz. Nach der Rechtsprechung hat allerdings ein im Ausland lebender Ehegatte solange einen Wohnsitz beim anderen Ehegatten in Deutschland, wie er die Absicht hat, nach vorübergehender (auch längerer) Abwesenheit dorthin zurückzukehren. Dies gilt unabhängig davon, welche räumliche Entfernung zwischen den Ehegatten besteht. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht dann, wenn die Ehegatten tatsächlich getrennt leben. Dieser "Familienwohnsitz" kann in Zuzugsfällen große Schwierigkeiten bereiten. |
2. "Versehentlicher" erbschaftsteuerlicher Zuzug nach Deutschland
Die besondere Relevanz des Wohnsitzes (§ 8 AO) als Anknüpfung für die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht ergibt sich vor allem daraus, dass der Wohnsitz keinen längeren Aufenthalt im Inland voraussetzt. Im Widerspru...