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Die Frage, wie rechtlich zu reagieren ist, wenn der Erblasser nach Errichtung seines Testaments Vater[1] wird, er aber bis zu seinem Tod es unterlässt, sein Testament an die Geburt seines Kindes anzupassen, hat nicht nur in diesem und im letzten Jahrhundert Rechtsgelehrte beschäftigt; vielmehr war sie schon zur Zeit des römischen Reichs Gegenstand rechtswissenschaftlicher Abhandlungen[2]. Die Gründer des BGB entschieden sich dafür, in solchen Konstellationen dem übergangenen Kind ein Anfechtungsrecht an die Hand zu geben, vgl. § 2079 BGB. Andere Rechtsordnungen bevorzugten allerdings andere rechtliche Mechanismen, um derartige Konstellationen zu bewerkstelligen.

[1] Bzw. – im Fall einer Erblasserin – Mutter.
[2] Siehe hierzu die detaillierte Analyse des römischen Rechts, die von Justice Blume in Burns v. Burns, 67 Wyo. 314, 325–26, 224 P.2d 178, 181 (1950) vorgenommen wurde; vgl. auch v. Mitschke-Collande, Die Auswirkungen der Geburt oder Adoption eines Kindes auf bereits errichtete Verfügungen von Todes wegen und Schenkungen, 2016, 18 ff.; Titche, So. L. Q. 1917, 210, 212 f.; Venturatos Lorio/Hof Wallace, in: La. Civ. L. Treatise, Successions And Donations, 2. Aufl. 2019, § 14:8.

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Der folgende Beitrag wird zwei dieser, vom deutschen Sachrecht abweichenden Lösungsmodelle in den Blick nehmen, nämlich das US-amerikanische und das italienische Modell. Bei der hiesigen Analyse wird es letztlich um die Frage gehen, wie derartige Regelungen innerhalb der im Jahr 2012 erlassenen EuErbVO[3] zu qualifizieren sind (II.). Zur Beantwortung dieser Frage müssen allerdings die in den Vereinigten Staaten und in Italien existierenden Lösungsmodellen zunächst dargestellt werden, weshalb dem zweiten Teil des vorliegenden Beitrages ein deskriptiver Teil vorangestellt wird (I.).

[3] Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU 2012, L 201/107 (im Folgenden: EuErbVO).

I. Die Regelungsmodelle in den Vereinigten Staaten und in Italien

1. Die after-born child statutes in den Vereinigten Staaten

Im Recht des Common Law galt noch der Grundsatz, dass ein Kind, welches in einem Testament nicht bedacht wurde, selbst dann keine Rechte am Nachlass besaß, wenn festgestellt wurde, dass es versehentlich übergangen wurde[4]. Dementsprechend gingen die Gerichte auch davon aus, dass die Geburt eines Kindes nach Errichtung eines Testaments sich hierauf nicht auswirken konnte[5].

Diese Regel wurde allerdings zunehmend kritisch gesehen, so dass sich in den Vereinigten Staaten seit dem letzten Jahrhundert eine Tendenz mehrerer US-Bundesstaaten abzeichnet, sogenannte after-born child statutes beziehungsweise pretermission statutes zu erlassen[6]. Im Grundsatz geht es bei derartigen Regelungen darum, dass einem Kind des Erblassers ein Teil des Nachlasses gewährt wird, wenn es testamentarisch nicht bedacht wurde[7]. Trotz dieses gemeinsamen Ausgangspunktes unterscheiden sich aber die gesetzlichen Regelungen der unterschiedlichen US-Bundesstaaten in ihren Einzelheiten teilweise erheblich. So gewähren die meisten US-Bundesstaaten nur solchen Kindern des Erblassers Schutz, die nach der Errichtung des Testaments geboren sind[8]. Arkansas und New Hampshire erweitern indes den Schutz auf Kinder des Erblassers, die zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments bereits lebten[9], während Oklahoma auch Abkömmlinge eines Kindes schützt, wenn das Kind vor dem Erblasser stirbt[10]. Darüber hinaus unterscheiden einige after-born child statutes bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs des übergangenen Kindes danach, ob der Erblasser andere Kinder zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments besaß oder nicht[11], wohingegen nach anderen after-born child statutes es für die Höhe des Anspruchs des übergangenen Kindes ohne Belang ist, ob der Erblasser zur Zeit der Errichtung seines Testaments Kinder hatte[12].

Abgesehen von diesen Unterschieden weisen after-born child statutes allerdings auch Gemeinsamkeiten auf. So scheinen die US-amerikanischen Gerichte auf Rechtsfolgenseite allgemein davon auszugehen, dass after-born child statutes nicht zu einem Widerruf des Testaments führen; das Testament wird also nicht mit der Folge beseitigt, dass die gesetzliche Erbfolge eintritt[13]. Vielmehr bleiben das Testament und die darin enthaltenen letztwilligen Verfügungen bestehen und das übergangene Kind bekommt ausschließlich ein sich aus dem after-born child statute ergebendes Recht, einen Teil des Nachlasses zu fordern, das wiederum dem Recht der testamentarisch Bedachten vorgeht[14].

Ferner geht eine große Mehrheit der gesetzlichen Bestimmungen dahin, dass das Recht des übergangenen Kindes vollständig entfällt, wenn zugunsten des überlebenden Ehegatten eine testamentarische Verfügung gemacht wurde, die mindestens einen beträchtlichen Anteil des Nachlasses ausmacht[15]. Grund für eine derartige Einschränkung ist die fehlende Schutzbedürftigk...

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