Leitsatz
1. Im Zweifel ist zu vermuten, dass eine in einem Erbvertrag (oder einem Testament) getroffene Rechtswahl nicht nur für das Errichtungsstatut (Art. 25 Abs. 3 EuErbVO) erfolgt, sondern für das gesamte Erbstatut nach Art. 22 EuErbVO.
2. Das Errichtungsstatut kann wegen Art. 26 Abs. 3 EuErbVO nur durch die Parteien des Erbvertrags gemeinsam abgeändert werden.
3. Erfolgt die Erbeinsetzung in einem Erbvertrag in Form einer vertragsmäßigen Verfügung, ist auch eine konkludente Rechtswahl als vertragsmäßige Verfügung anzusehen (sofern die Vertragsparteien nichts anderen vereinbaren). Dies gilt sowohl im Hinblick auf das Errichtungsstatut (Art. 25 Abs. 3 EuErbVO) als auch im Hinblick auf das Erbstatut (Art. 22 EuErbVO).
4. Die Anfechtbarkeit eines Erbvertrags beurteilt sich nach dem Errichtungsstatut (Art. 25 Abs. 3 EuErbVO). Dies gilt auch für die Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten nach § 2079 BGB.
5. Die Frage, wer pflichtteilsberechtigt ist, ist als Vorfrage gesondert anzuknüpfen. Sie beurteilt sich nach dem allgemeinen Erbstatut (Art. 22 EuErbVO).
AG Hamburg-St. Georg, Beschl. v. 15.7.2022 – 970 VI 1412/19
1 Gründe
I)
Der Erblasser Professor Dr. H. wurde am (…) in (…) (jetzt […]) geboren und ist am … in Südafrika verstorben. Der Erblasser besaß die deutsche und die südafrikanische Staatsbürgerschaft. Der Erblasser hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt zuletzt in Südafrika. Er war dort an der (…) als Professor für Internationales Recht tätig. Er verfügte über Vermögen in Südafrika, Deutschland und der Schweiz. Die letzte Anschrift des Erblassers in Deutschland war (…) (…). Die Anschrift befindet sich im Bezirk des hiesigen Gerichts.
Die Mutter des Erblassers war B. Diese ist am (…) nachverstorben. Frau B. war deutsche Staatsbürgerin. Mit Beschl. des AG Celle vom 30.8.2019 (…) wurde als Nachlasspfleger für die unbekannten Erben von Frau B. der Beteiligte zu 2) bestellt. Frau B. stand zu ihren Lebzeiten unter Betreuung. Zu ihrem Betreuer war der Erblasser bestellt worden, als Ersatzbetreuer fungierte der Zeuge K.
Der Erblasser errichtete am 3.10.1976 ein handschriftliches Testament. In diesem setzte er für den Fall, dass er ledig und (so wörtlich) "unbekindert" versterben sollte, seine Mutter als Alleinerbin ein. Weiterhin enthält das Testament eine Regelung zu Ersatzerben. Ein Nachtrag vom 23.12.1977 enthält Regelungen zu den corpsstudentischen Habseligkeiten des Erblassers; der Erblasser war ausweislich dieses Nachtrags zu jener Zeit Mitglied der Studentenverbindung (…).
Der Erblasser hatte eine Lebensgefährtin, T. Beide hatten sich nach ihren Angaben etwa im April 2014 kennengelernt. Nachfolgend entwickelte sich eine Liebesbeziehung (…).
Der Erblasser und seine Mutter schlossen am 5.5.2018 zur Urkunde des Notars J. (UR-Nr. 72/2018, Blatt 37 der Gerichtsakte) einen Erbvertrag. In dem Erbvertrag setzten sich der Erblasser und seine Mutter gegenseitig zu alleinigen Erben ein. Zudem widerriefen sie vorsorglich alle bisher von ihnen getroffenen Verfügungen von Todes wegen. Sodann heißt es wörtlich:
Zitat
Die beiderseitigen Verfügungen sollen vertragsgemäß sein. Über die durch diesen Erbvertrag eintretenden Bindungen wurden wir vom beurkundenden Notar belehrt.
Auf die Bedeutung und die Auswirkung eines Erbvertrages, namentlich darauf, dass die erbvertraglichen Bestimmungen einseitig weder aufgehoben, noch abgeändert werden können, wurden wir … vom Notar hingewiesen.
Eine Rechtswahlklausel enthält der Erbvertrag nicht. Auch ein Rücktrittsrecht ist in dem Erbvertrag nicht vorbehalten.
Bei Abschluss des Erbvertrags war ausweislich der notariellen Urkunde der Beteiligte zu 1) zugegen.
Ebenfalls am 5.5.2018 beurkundete der Notar J. ein Schenkungsversprechen des Erblassers gegenüber dem Zeugen K. (…). Dieses hat folgenden Gegenstand: Die Mutter des Erblassers hatte ein Forstgut schenkweise übertragen. Der Erblasser hatte diese Übertragung in Prozessstandschaft für seine Mutter angefochten. Für den Fall, dass der Prozess um die Rückübertragung zugunsten seiner Mutter ausgehen würde, versprach der Erblasser mit dem beurkundeten Schenkungsversprechen, dem Zeugen K. bestimmte Ländereien aus dem Bestand des Forstguts zu schenken. Grund für die Schenkung war, dass sich der Zeuge K. um die Mutter des Erblassers verdient gemacht habe. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die notarielle Urkunde verwiesen.
Der Erblasser machte seiner Lebensgefährtin am 26.6.2018 (ihrem Geburtstag) einen Heiratsantrag (vgl. ihre Angaben im Founding Affidavit vom 14.11.2019, Bl. 88).
Am 29.1.2019 errichtete der Erblasser ein Testament, in dem er seine Lebensgefährtin als Alleinerbin einsetzte. Weiterhin setzte er P. als Testamentsvollstrecker ("Executor") für den in Südafrika befindlichen Nachlass ein. Für seinen in Deutschland und der Schweiz befindlichen Nachlass setzte der Erblasser den Beteiligten zu 1) ein. Das Testament ist maschinengeschrieben und vom Erblasser sowie zwei Zeugen unterschrieben. Eine Rechtswahlklausel enthält das Testament nicht.
Ebe...