Im nachfolgenden Abschnitt sollen alternative Ausgleichungsformen diskutiert werden, mit deren Hilfe de lege ferenda ein erbrechtlicher Ausgleich für informelle Pflegeleistungen erfolgen kann.
a. Honorierung mittels Erblasserschuld
Als Alternative zu den Ausgleichungsvorschriften wird teilweise vorgeschlagen, die Pflegeleistungen durch eine Nachlassverbindlichkeit in Form einer Erblasserschuld (§ 1967 Abs. 2 Alt. 1 BGB) zu honorieren. Eine solche Lösung hätte den Vorteil, dass sich etwaige Pflichtteilsansprüche nicht negativ auf die Interessen der Pflegeperson auswirken würden. Ursache hierfür ist, dass sich die Höhe des Pflichtteilsanspruchs nach dem Nettonachlass richtet, welcher wiederum erst nach dem Abzug sämtlicher Nachlassverbindlichkeiten – also auch der auszugleichenden Pflegeleistungen – feststeht.
Fraglich ist jedoch, ob sich eine solche Erblasserschuld dogmatisch reibungslos in die §§ 1967 ff. BGB einfügen lässt. Kennzeichnend für eine Nachlassverbindlichkeit in Form der Erblasserschuld ist nämlich, dass die Verpflichtung den Erblasser schon zu dessen Lebzeiten getroffen hat oder zu diesem Zeitpunkt zumindest der Verpflichtungsgrund schon in der Person des Erblassers gesetzt war. Was die bereits zu Lebzeiten des Erblassers entstandenen Verpflichtungen betrifft, gilt es zu beachten, dass die familiäre Pflege als solche grundsätzlich keine Rechtsfolgen mit sich bringt. Soweit sich Ansprüche ausnahmsweise aus gesetzlichen Schuldverhältnissen (Geschäftsführung ohne Auftrag oder Bereicherungsrecht) ergeben, sind diese auf den Interessenausgleich unter Lebenden gerichtet und daher auch im Schuld- und nicht im Erbrecht angesiedelt.
Da § 1967 Abs. 2 Alt. 1 BGB allerdings auch sog. "unfertige Rechtsverhältnisse" erfasst, könnten die lebzeitig erbrachten Pflegeleistungen zumindest unter diesem Gesichtspunkt womöglich doch noch eine ausreichende Grundlage für eine Erblasserschuld bilden. Wird der Erblasser also etwa zu Lebzeiten beschenkt, kann der durch die Verarmung des Schenkers entstandene Rückforderungsanspruch (§ 528 BGB) auch dann noch als Erblasserschuld die Erben treffen, wenn die Bedürftigkeit des Schenkers erst nach dem Tod des Beschenkten eingetreten ist. Auch was Verpflichtungen aus gesetzlichen Schuldverhältnissen betrifft, reicht es aus, wenn bereits zu Lebzeiten des Erblassers ein gewisser Verpflichtungsgrund bestand, um auch noch den Erben in Form einer Erblasserschuld zu verpflichten. Stürzt eine Person etwa auf einer vom Erblasser zu dessen Lebzeiten unzureichend gesicherten Treppe, so hat der Erbe für etwaige Schäden selbst dann einzustehen, wenn ihm kein persönlicher Vorwurf zu machen ist. In Anlehnung an die soeben genannten Beispiele ließe sich an sich auch eine Erblasserschuld für solche Pflegeleistungen begründen, die nicht auf Grundlage von vertraglichen Absprachen zu Lebzeiten des Erblassers erbracht worden sind. Als notwendiger Verpflichtungsgrund für die Erblasserschuld könnten dabei die zugunsten des Erblassers erbrachten Pflegeleistungen dienen.
Will man in den familiären Pflegeleistungen einen Verpflichtungsgrund für eine spätere Erblasserschuld sehen, muss man’sich allerdings bewusst machen, weshalb § 1967 Abs. 2 Alt. 1 BGB auch bei lediglich "unfertigen Rechtsverhältnissen" das Entstehen einer Erblasserschuld ermöglicht. Sinn und Zweck des weit gefassten Anwendungsbereichs ist es, dass beim Tod des Erblassers nicht solche Forderungen unter den Tisch fallen, die ohne den Todesfall unproblematisch entstanden wären. Ähnlich wie § 153 BGB, der den Tod des Antragenden beim Vertragsschluss für grundsätzlich unbeachtlich erklärt, lässt man es daher ausreichen, wenn bereits beim Tod des Erblassers die maßgeblichen Wirksamkeitsvoraussetzungen des späteren Anspruchs feststehen. Überträgt man diese Überlegungen auf die hier behandelte Pflegeproblematik und verlagert man den Tod des pflegebedürftigen Erblassers dementsprechend gedanklich auf einen späteren Zeitpunkt, würde sich jedoch auch zu diesem späteren Zeitpunkt regelmäßig keine Zahlungsverpflichtung gegenüber der Pflegeperson ergeben, da das BGB an die Pflegetätigkeit zu Lebzeiten des Erblassers grundsätzlich keinerlei Rechtsfolgen knüpft.
Insgesamt fehlt es damit auch an den für ein "unfertiges Rechtsverhältnis" i.S.d. § 1967 Abs. 2 Alt. 1 BGB erforderlichen Mindestvoraussetzungen, weshalb es sich aus dogmatischer Sicht nicht anbietet, die familiären Pflegeleistungen in Form einer Erblasserschuld auszugleichen.