Einführung
Dieser Beitrag soll dem deutschen Rechtsanwender einen prägnanten und praxisorientierten Überblick über das österreichische Verlassenschaftsverfahren verschaffen. Im Mittelpunkt der Darstellung steht das österreichische Verlassenschaftsverfahren, wie es seit dem Inkrafttreten des neuen österreichischen Außerstreitgesetzes (AußStrG) am 1.1.2005 durchzuführen ist.
1. Einleitung
Das Verlassenschaftsverfahren ist ein Verfahren außer Streitsachen, das sich gegenüber dem Zivilprozess durch größere Flexibilität, geringere Formstrenge, Hilfeorientiertheit, Betonung einer gemeinsamen Verantwortung des Gerichtes und der Parteien für ein möglichst gründliches, aber auch möglichst rasches Verfahren sowie Betonung der selbst verantwortlichen Lösung von Konflikten durch die Parteien auszeichnet.
Ziel der Reformbestrebungen zum neuen AußStrG war es, unter Beibehaltung des Einantwortungsprinzips, bewährte und durch die Judikatur fortgebildete Verfahrensgrundsätze zu kodifizieren und eine moderne, den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, aber auch dem besonders hilfeorientierten und friedensrichterlichen Charakter des Außerstreitverfahrens Rechnung tragende, eigenständige Verfahrensordnung zu schaffen. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf eine Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens gelegt.
Anzuwenden ist das neue AußStrG auf Verlassenschaftsverfahren, die nach dem 31.12.2004 erstmals bei Gericht oder beim Gerichtskommissär anhängig gemacht wurden, sofern sie nicht schon früher eingeleitet hätten werden können. Sonst sind die bisher in Geltung gestandenen Vorschriften über das Verlassenschaftsverfahren weiter anzuwenden.
2. Gesetzliche Grundlagen des österreichischen Verlassenschaftsverfahrens
Neben dem AußStrG als zentralem Verfahrensgesetz sind für das österreichische Verlassenschaftsverfahren vor allem folgende Normen maßgebend:
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die erbrechtlichen Bestimmungen des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), |
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die Zuständigkeitsregelungen der Jurisdiktionsnorm (JN), |
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die Regelungen über die Amtsführung der Rechtspflegeorgane sowie die Tätigkeit der Notare als Gerichtskommissäre im Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz, im Rechtspflegergesetz und im Gerichtskommissärsgesetz (GKG), |
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die Kollisionsnormen des internationalen Privatrechtsgesetzes (IPRG) und |
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jene gesetzlichen Bestimmungen, die eine Sonderrechtsnachfolge normieren, wie z. B. das österreichische Mietrechtsgesetz (MRG) bezüglich der Eintrittsrechte in den Hauptmietvertrag und das österreichische Wohnungseigentumsgesetz (WEG 2002) in Bezug auf das Wohnungseigentum der Partner im Todesfall (§ 14 WEG 2002), |
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die haftungsbegründenden Normen in anderen Gesetzen wie z. B. im österreichischen Unternehmensgesetzbuch (UGB), wenn ein Unternehmen zur Verlassenschaft zählt, und |
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die besonderen Erbteilungs- und Verfahrensvorschriften, wie jene für land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die sich im Anerbengesetz finden. |
3. Einantwortungsprinzip und Zweck des Verlassenschaftsverfahrens
Das österreichische Erbrecht folgt – auch nach der Reform des AußStrG – dem Prinzip der Einantwortung. Niemand darf eine Erbschaft eigenmächtig in Besitz nehmen bzw. erwirbt eine Erbschaft von selbst. Das Erbrecht muss vielmehr vor Gericht verhandelt und vom Gericht die Übergabe in den rechtlichen Besitz, die sogenannte Einantwortung des Nachlasses, bewirkt werden.
Vom Zeitpunkt des Todes einer Person bis zur Einantwortung (Eigentumserwerb durch den Erben) besteht zunächst der sogenannte ruhende Nachlass als eigenes Rechtssubjekt. Die Rechts- und Parteifähigkeit des ruhenden Nachlasses besteht bis zur Einantwortung; bis zu diesem Zeitpunkt ist der ruhende Nachlass das Subjekt der mit dem Tod nicht untergegangenen Rechte und Pflichten des Erblassers.
Vertreten wird der ruhende Nachlass, der selbst nicht handeln kann, idR von den vertretungsbefugten, erbantrittserklärten Erben, in manchen Fällen auch durch einen vom Verlassenschaftsgericht zu bestellenden Verlassenschafts...