Leitsatz
Zur Wechselbezüglichkeit der Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament, in dem sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben und die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben einsetzen.
OLG München, Beschluss vom 13. September 2010 – 31 Wx 119/10
Sachverhalt
Die verwitwete Erblasserin ist im November 2009 im Alter von 87 Jahren verstorben. Die Beteiligten zu 1, 2 und 3 sind ihre Kinder aus der Ehe mit dem 1970 vorverstorbenen Ehemann. Ein weiteres gemeinsames Kind ist ohne Hinterlassung von Abkömmlingen 1979 vorverstorben. Es liegt ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament der Eheleute vom 16.1.1966 vor, in dem sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und die namentlich aufgeführten gemeinschaftlichen vier Kinder zu Schlusserben einsetzen. Am 20.4.2009 errichtete die Erblasserin ein handschriftliches Testament, in dem sie den Beteiligten zu 3 zum Alleinerben einsetzte. Der Beteiligte zu 3 hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Alleinerben ausweist. Er ist der Auffassung, für die Erbfolge sei das Testament vom 20.4.2009 maßgeblich. Die Schlusserbeinsetzung im gemeinschaftlichen Testament vom 16.1.1966 sei nicht wechselbezüglich, sodass die Erblasserin auch nach dem Tod des Ehemanns abweichend habe testieren können. Die Beteiligte zu 1 ist dem Antrag entgegengetreten. Mit Beschluss vom 10.5.2010 hat das Amtsgericht festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung des beantragten Alleinerbscheins vorliegen. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 1 mit der Beschwerde.
Aus den Gründen
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Beteiligte zu 3 ist nicht Alleinerbe. Die Beteiligten zu 1 bis 3 sind aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments von 1966 als Erben nach dem Überlebenden berufen. Diese Erbeinsetzung hätte die Erblasserin durch das spätere einseitige Testament von 2009 nur dann wirksam widerrufen können, wenn sie nicht wechselbezüglich im Sinne des § 2270 BGB zu einer Verfügung ihres Ehemannes war; andernfalls war die Erblasserin nach § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB nach dem Tod des Ehemanns an einem Widerruf dieser in dem gemeinschaftlichen Testament getroffenen letztwilligen Verfügung gehindert. So liegt der Fall hier; die Erblasserin war an ihre Schlusserbeinsetzung gebunden.
1. Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und damit für den überlebenden Ehegatten bindend, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (BayObLG FamRZ 2005, 1931; OLG Hamm FamRZ 2004, 662). Maßgeblich ist der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (BGHZ 112, 222/223 f). Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, muss diese nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden (BGH NJW-RR 1987, 1410).
2. Erst wenn die Ermittlung des Erblasserwillens weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen ergibt, ist gemäß § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen Ehegatten eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Das ist hier in mehrfacher Hinsicht der Fall. Zum einen haben sich die Ehegatten gegenseitig bedacht; diese Verfügungen sind im Zweifel zueinander wechselbezüglich. Darüber hinaus hat der Ehemann seine Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt und diese hat für den (hier eingetretenen) Fall ihres Überlebens die gemeinsamen Kinder eingesetzt, die nicht nur mit ihr, sondern auch mit ihrem Ehemann verwandt sind. § 2270 BGB greift somit auch im Verhältnis dieser zwei Verfügungen zueinander ein, ebenso wie umgekehrt im Verhältnis der Einsetzung des Ehemannes durch die Ehefrau zur Einsetzung der gemeinsamen Kinder durch den Ehemann für den Fall seines Überlebens (vgl. Reimann/Bengel/J. Mayer, Testament und Erbvertrag, 5. Aufl. § 2270 BGB Rn 57). Allerdings kommt § 2270 Abs. 2 BGB nur zum Zuge, wenn nicht die vorrangige individuelle Auslegung etwas anderes ergibt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang das vom Amtsgericht herangezogene Argument, es sei grundsätzlich nicht anzunehmen, dass ein Elternteil die gemeinsamen Kinder nur deswegen als Erben einsetzt, weil auch der andere dies tut. Das betrifft das Verhältnis der einen Schlusserbeinsetzung zur anderen Schlusserbeinsetzung und erlangt insbesondere Bedeutung, wenn die Erbeinsetzung der Kinder nicht mit einer gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute verknüpft ist (vgl. BayObLG ZEV 1996, 188). Un...