1. Konzeptionelle Neuordnung durch die Erbrechtsreform
Durch die Erbrechtsreform deutlich verändert wurden sowohl die Struktur als auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Auswirkungen der Ausschlagung nach § 2306 BGB. In Abkehr von der bislang geltenden Differenzierung zwischen pflichtteilsunter- und pflichtteilsüberschreitenden Zuwendungen und der sich hieraus ergebenden Unwirksamkeitslösung nach § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB aF auf der einen Seite und dem Wahlrecht des Erben zwischen Annahme oder Ausschlagung gemäß § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB aF auf der anderen Seite muss sich der mit Beschränkungen oder Beschwerungen belastete oder zum Nacherben eingesetzte Erbe nunmehr stets mit der Ausschlagung gegen die Anordnungen des Erblassers zur Wehr setzen, will er sich mit den letztwilligen Anordnungen nicht abfinden.
Vor dem Hintergrund der viel beklagten Schwäche der alten Rechtslage mit ihren sehr diffizilen Abgrenzungsfragen sind die Veränderungen des § 2306 BGB in Wissenschaft und Praxis grundsätzlich positiv aufgenommen worden. Wenngleich die Komplexität der Vorschrift tatsächlich abgenommen hat, sind aber auch im neuen Recht Unklarheiten bestehen geblieben. Untersucht wird zum einen das Erfordernis einer "besonderen Ausschlagungserklärung" nach § 2306 BGB. Zum anderen bedarf das Zusammenspiel von § 2306 BGB und § 2338 BGB einer kritischen Auseinandersetzung.
2. Die Ausschlagungserklärung nach § 2306 Abs. 1 BGB
a) Anforderungen an die Ausschlagungserklärung
Gerichtlich ungeklärt und in der Literatur erst in jüngster Zeit vereinzelt diskutiert ist die Frage, worauf sich die Ausschlagung des Erben nach § 2306 Abs. 1 BGB beziehen muss, um den Pflichtteil geltend machen zu können. Die Problematik, welche Anforderungen an die korrekte Formulierung der Ausschlagungserklärung zu stellen sind, ist dabei keinesfalls neu. Sie bestand bereits unter Geltung der alten Rechtslage.
Nach einer Auffassung solle die Erbschaft allein aus dem Berufungsgrund der testamentarischen Erbfolge ausgeschlagen werden. In der Ausschlagungserklärung könne dabei der Beweggrund für die Ausschlagung und damit explizit § 2306 BGB genannt werden, woraus sich ergebe, dass der Erklärende trotz der Ausschlagung seinen Pflichtteil behalten möchte. Berufen wird sich insofern zum einen auf den Wortlaut des § 2306 Abs. 1 BGB, zum anderen auf den Umstand, dass bei einer umfassenden Ausschlagung der Erbschaft kein Pflichtteilsanspruch bestehe, da diese keinen Ausschluss von der Erbfolge iSd § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB darstelle. Entgegen dieser Ansicht hält eine andere Stimme in der Literatur im Grundsatz eine umfassende Ausschlagung für erforderlich, d. h. eine solche aus allen Berufungsgründen. Es sei zu berücksichtigen, dass eine Person bei ihrer Ausschlagung allein aus dem Berufungsgrund der testamentarischen Erbfolge dennoch Erbe aufgrund gesetzlicher Erbfolge werden könne. Dies sei etwa dann der Fall, wenn sich aus der Auslegung des Testaments weder eine Ersatzerbfolge (§ 2096 BGB) ergebe noch eine Anwachsung an den eingesetzten Miterben stattfinde (§ 2094 BGB) oder auch dieser die Erbschaft ausschlage. Im Übrigen bedeute eine mit einer umfassenden Ausschlagungserklärung abgegebene Lossagung von der Erbschaft keinesfalls, dass der Ausschlagende auch auf seinen Pflichtteil verzichten wolle. Dies werde bereits in den beträchtlichen Unterschieden zwischen einer Erbenstellung und einer bloßen Pflichtteilsberechtigung deutlich.
Weder die eine noch die andere Ansicht vermag in ihrer Absolutheit zu überzeugen. Beide Meinungen stellen sich als zu undifferenziert dar und gehen am eigentlichen Kern des Problems vorbei. UE muss sich die Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 BGB stets auf all jene Sachverhalte beziehen, bei denen die anfallenden Erbteile mit Beschränkungen oder Beschwerungen verbunden sind. Demzufolge lässt es sich aber nicht abstrakt generell sagen, ob die hinterlassene Erbschaft immer nur nach dem Berufungsgrund der gesetzlichen bzw. der testamentarischen Erbfolge oder umgekehrt stets umfassend auszuschlagen ist. Vielmehr kommt es auf den Einzelfall an.
b) Wortlaut des § 2306 Abs. 1 BGB
Dass sich die Ausschlagung stets auf alle Erbteile beziehen muss, mit denen Beschränkungen oder Beschwerungen verbunden sind, lässt bereits der Wortlaut des § 2306 Abs. 1 BGB vermuten. Dieser verlangt sowohl in seiner alten als auch in seiner neuen Fassung, dass der Erbe "den Erbteil" ausschlägt. § 2306 Abs. 1 BGB aF präzisierte dies noch dahingehend, dass es sich um den "hinterlassenen Erbteil" handeln muss. Zu Recht zieht de Leve daraus den Schluss, "dass sich die Ausschlagungserklärung nach § 2306 BGB ganz konkret auf die zugewandte Erbschaft beziehen muss […]." Aber was heißt das genau? Der Erbteil kann dem als Erben berufene...