Martin Löhnig/Dieter Schwab/Dieter Henrich/Peter Gottwald/Inge Kroppenberg (Hrsg.)
Beiträge zum europäischen Familienrecht Band 13
Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld, 1. Aufl. 2011, 356 Seiten, 86 EUR
ISBN: 978-3-7694-1089-1
Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was mit einer von Ihnen in Deutschland entworfenen Vorsorgevollmacht geschieht, wenn der Vollmachtgeber nach Mallorca übersiedelt und dort hilfsbedürftig wird? Oder was Sie beachten müssen, damit eine Patientenverfügung die gewünschten Wirkungen auch dann entfalten kann, wenn der Mandant auf der Reise nach Italien infolge eines schweren Verkehrsunfalls in einem Alpentunnel sich in einem Krankenhaus der Schweiz oder Österreichs wiederfindet?
Der vorliegende Band versammelt die Beiträge auf dem 10. Regensburger Symposium für Europäisches Familienrecht, das im Oktober 2010 unter dem Thema "Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa" stand. Nach drei einleitenden Beiträgen zur rechtlichen und kautelaren Situation in Deutschland (von den Professoren Löhnig, Spickhoff und dem Notar Dr. Albrecht) folgen 14 Länderberichte aus allen Teilen Europas (Schweiz, Norwegen, Polen, Slowenien, Österreich, Griechenland, den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Belgien, Italien, Serbien, Ungarn und Bulgarien). Der Band schließt ab mit einer gründlichen rechtsvergleichenden Analyse und einem Resümee von Mareike Preisner.
Dass in den einzelnen Staaten Europas erhebliche Unterschiede existieren, hätte man erwarten können. Es überrascht aber, dass die Entwicklung in den einzelnen europäischen Staaten nahezu alle Schattierungen und Kombinationsmöglichkeiten abdeckt, und zwar von der kompletten Anerkennung der Verfügungen (z. B. Niederlande) über das "Patientenvollmacht geht, Vorsorgevollmacht nicht" (z. B. Bulgarien) bzw. den umgekehrten Fall des "Vorsorgevollmacht geht, Patientenvollmacht aber nicht" (Norwegen) bis zum "grundsätzlich geht eigentlich nichts" (z. B. Italien). Teilweise mag man das damit begründen, dass einzelne Länder einfach "noch nicht so weit sind". Bewusste Zurückhaltung in einigen westeuropäischen Staaten kann aber auch Anlass zur Reflexion der Lage in Deutschland dienen. In Österreich stellt man z. B. strenge Anforderungen an die Errichtung einer Patientenverfügung, damit diese "rechtsverbindlich" ist. Hält die Verfügung diese Anforderungen (Form, ärztliche und rechtliche Aufklärung, konkrete Bezichnung der abgelehnten ärztlichen Maßnahmen, nicht älter als fünf Jahre) nicht vollständig ein, so ist sie aber nicht absolut wertlos, sondern nur "beachtlich", vom Arzt also bei der Bewertung angemessen zu berücksichtigen.
Interessanterweise weist gerade ein Jurist aus Großbritannien, wo man seit Jahrhunderten Erfahrungen mit privatrechtlich organisierten auf Dauer angelegten Treuhandkonstruktionen hat, darauf hin, dass tendenziell zwei Punkten zu wenig Beachtung geschenkt wird: Der Gewährleistung, dass die Vollmacht tatsächlich frei von äußerer Beeinflussung und dem wahren Willen der Prinzipals entsprechend erteilt wird und der Überwachung des Bevollmächigten.
Die zahlreichen liebevoll ausgearbeiteten und sorgfältig bearbeiteten Länderberichte geben nicht nur wertvolle Hinweise für die Gestaltung von Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen im europäischen Rechtsverkehr. Die vielfältigen Modelle und Erfahrungen geben auch Anlass, über die in Deutschland geltende Rechtslage und Praxis nachzudenken. Der Sammelaband ist daher jedem zu empfehlen, der sich mit dem Thema kritisch auseinandersetzen möchte und auch Anregungen abseits der ausgetrenenen Wege sucht.
Für Fachleute und Interessierte
Dr. Rembert Süß, Rechtsanwalt, Würzburg