Das Urteil des LG Rottweil ist rechtskräftig. Das OLG Stuttgart hat mit Beschluss vom 30.12.2011 (Az 19 U 123/11) die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt. Der BGH hat mit Beschluss vom 25.07.2012 (Az IV ZR 12/12) die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen. In der Begründung führt der BGH an, dass die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch eine Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung erfordert. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Entscheidung des LG Rottweil in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BGH (bspw. BGH NJW 1994, 1791 ff) zum Genussverzicht ergangen ist. Das Urteil bringt ein kleines Stückchen Rechtssicherheit für die Vertragsgestaltung.
Im Kern ging es bei dem Fall um die Übergabe eines größeren, gemischt genutzten Immobilienanwesens, bestehend aus verschiedenen Wohnungen, einem Schreinerei- und Ökonomieteil, Garagen und einer größeren Freifläche. Die Erblasserin überschrieb die gesamte Immobilie nebst dem Schreinereibetrieb bereits länger als 10 Jahre vor ihrem Tod auf einen ihrer Söhne. Ein weiterer Sohn hat nach dem Tod der Erblasserin Wertermittlungsansprüche gegen die Erben in Bezug auf die verschenkte Immobilie geltend gemacht, um seine von ihm behaupteten Pflichtteilsergänzungsansprüche beziffern zu können.
Das LG Rottweil kam hierbei zu dem Ergebnis, dass keine Wertermittlungsansprüche bestehen, weil das 1994 übertragene Immobilienvermögen nebst Schreinerei wegen des Ablaufs der 10 Jahres-Frist bereits nicht mehr zum fiktiven Nachlass gehörte. Das Urteil erging zwar noch zu § 2325 Absatz 3 BGB aF, die hier strittigen Rechtsfragen sind aber auch nach der Erbrechtsform in gleicher Weise zu entscheiden, sodass sich hierdurch keine Änderungen ergeben.
Für die entscheidende Frage, ob sich die Übergeberin die wesentliche Nutzung des verschenkten Gegenstandes vorbehalten hat und somit kein Genussverzicht iS der BGH Rechtsprechung eingetreten sei, hat das LG Rottweil sämtliche im Übergabevertrag vorbehaltenen Rechte im Rahmen einer Gesamtabwägung bewertet und ist zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass sich ihre Rechtsstellung durch die Übertragung wesentlich verschlechtert hat, weil es ihr mit Ausnahme des ihr eingeräumten Wohnungsrechts nicht mehr möglich war, den Übernehmer von einer Nutzung des Übergabeobjekts auszuschließen. Hierbei betrug der Anteil der von der Erblasserin zurückbehaltenen Wohnfläche an der Gesamtfläche des Objekts ca. 11 %.
Somit kann zumindest für vorbehaltene Wohnungsrechte, die nur ca. 10 % der Gesamtnutzungsmöglichkeiten ausmachen, nunmehr mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass hier ein wesentlicher Genussverzicht gegeben ist. In solchen Fällen besteht nunmehr aufgrund des rechtskräftigen Urteiles des LG Rottweil Rechtsicherheit bei der Vertragsgestaltung (eine ausführliche Darstellung der gegenwärtigen Probleme und vorhandenen Gerichtsurteile zu vorbehaltenen Wohnungsrechten findet sich bei Pawlytta in Mayer, Süß, Tanck, Bittler, Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl., § 7 Rn 168 und bei Abele/Klinger/Maulbetsch, Pflichtteilsansprüche reduzieren und vermeiden, § 2, Rn 57 ff).
Gleichwohl ist weiterhin das Ansinnen abzulehnen, den wesentlichen Genussverzicht ausschließlich anhand irgendwelcher Prozentzahlen festzumachen. Diese bieten nämlich nur auf den ersten Blick Rechtssicherheit. Bei einem Quotennießbrauch mag die Prozentquote unstreitig festgestellt werden können. Bei vorbehalten Wohnungsrechten, die sich nur auf Teile einer Immobilie beziehen und auch noch Mitnutzungsrechte an gemeinschaftlichen Gebäudeteilen (Hof, Keller, Garage etc.) enthalten, ist eine exakte prozentuale Aufteilung gar nicht möglich und bietet nur wiederum Anlass für neue Unsicherheiten.
Entscheidend kann nur eine Gesamtabwägung der konkret vereinbarten gegenseitigen vertraglichen Leistungen sein, die in jedem Einzelfall durchzuführen ist. Dies mag für die Vertragsgestaltung risikoreich und unbefriedigend sein, ist aber nun einmal durch die Rechtsprechung des BGH zum Genussverzicht veranlasst.
Bei der gerichtlichen Entscheidung solcher Fälle sollte sich das Gericht aber immer auch von der Intention des BGH für seine Rechtsprechung leiten lassen. Die Rechtsprechung des BGH zum Genussverzicht will ja nur besonders fragwürdige lebzeitige Rechtsgeschäfte erfassen, die geradezu darauf abzielen, Pflichtteilsansprüche anderer Personen gering zu halten.
Hierzu führt der BGH in NJW 1994, 1791 ff aus: "Von dem fiktiven Nachlass, aus dem der Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet wird, wollte der Gesetzgeber nur solche Schenkungen ausnehmen, deren Folgen der Erblasser längere Zeit hindurch zu tragen und in die er sich daher einzugewöhnen hatte. Darin sah der Gesetzgeber eine gewisse Sicherheit vor ,böslichen‘ Schenkungen, durch die Pflichtteilsberechtigte benachteiligt werden sollen. Deshalb gilt eine Schenkung nicht als iSv § 2325 Ab...