Wege zur Gleichbehandlung von Sozialleistungsbeziehern bei letztwilligen Zuwendungen
Einführung
Der Verfasser geht angesichts der anhaltenden Diskussion um Pflichtteilsvermeidungsstrategien der Frage nach, ob die Gesetzeslage etwas dafür hergibt, dass Eltern bedürftiger Abkömmlinge mit Sozialleistungsbezug bei letztwilligen Verfügungen in erster Linie nicht das Kindes- und Familienwohl berücksichtigen dürfen, sondern das Gemeinwohl im Blick haben müssen. Im ersten Teil wird in einer Bestandsaufnahme der aktuelle Gestaltungsdiskurs aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre mit dem Ziel "Pflichtteilsreduzierung" und die – übereinstimmende – Generallinie der drei maßgeblichen Gerichtsbarkeiten (BGH, OVG, LSG) zur Sittenwidrigkeitsgrenze dargelegt. Im zweiten Teil schließt sich eine ausführliche Erörterung der vom Erbrechtssenat des Bundesgerichtshofs in gut zwei Dekaden geprüften Wege an, die dem Sozialhilfeträger den Zugriff auf letztwillige Zuwendungen an behinderte und bedürftige Abkömmlinge versperren sollen. Dadurch wird zugleich der Blick erweitert auf Gestaltungsmöglichkeiten von Erblassern und Erben, die noch nicht auf dem Prüfstand des Bundesgerichtshofs das ausdrückliche Eignungstestat erhalten haben. Rosa Maria Wendt, 20. Mai 2011
Zitat
"Gebt dem Sozialrecht, was des Sozialrechts ist, und gebt dem Zivilrecht, was des Zivilrechts ist."
Teil 1 – aktueller Diskurs in Rechtsprechung und Literatur
I. Generelle Beeinflussungsstrategien
1. Gestaltungsrahmen
Das Pflichtteilsrecht hat im forensischen und wissenschaftlichen Diskurs anhaltend Hochkonjunktur mit Schwerpunkt Pflichtteilsreduzierung und das, obwohl
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das Pflichtteilsrecht zwingend und damit von Natur aus gestaltungsfeindlich ausgebildet ist und |
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das Bundesverfassungsgericht durch die Ausstattung des Pflichtteils über die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG iVm Art. 6 Abs. 1 GG mit Grundrechtsschutz die Position Enterbter weiter gestärkt hat. |
An dieser auch noch öffentlich eingestandenen Suche nach Wegen zur Pflichtteilsminimierung haben sich Gesetzgeber, Forensiker und Lehre gleichermaßen mit unterschiedlichen Erfolgen beteiligt. Das hat kürzlich sehr instruktiv Gabriele Müller – Erbrechtschefin des Instituts für Notarrecht an der Universität Würzburg – aufgezeigt, als sie "Innovative Wege zur Pflichtteilsminimierung" auf ihre Eignung testete, inwieweit das anvisierte Ziel auf ihnen zu erreichen ist. Nach ihren Untersuchungsergebnissen spielt – und darauf kommt es hier an – die Absicht, in der Möglichkeiten von Pflichtteilssenkungen nachgespürt wird, für das Eignungstestat letztlich keine entscheidende Rolle. Dazu jetzt ein paar Fundstücke der drei genannten Suchtrupps:
2. Gestaltungswege des Gesetzgebers
a) § 2315 Abs. 1 Satz 4 BGB-E
Den vom Gesetzgeber mit § 2315 Abs. 1 Satz 4 BGB-E eingeschlagenen Reduzierungsweg über
Zitat
"nachträgliche Pflichtteilsanrechnungen von Todes wegen"
insbesondere, weil die Erfahrung lehre, dass Erblasser sich im Zeitpunkt der Zuwendung nur selten über bestandsfeste Anrechnungsanordnungen Gedanken machen, hat der Rechtsausschuss, hauptsächlich unter Vertrauensschutzgesichtspunkten des Zuwendungsempfängers, jäh versperrt. Das sollte indes nicht entmutigen, Verbesserungen bei der Verteilungsgerechtigkeit de lege ferenda weiter nachzugehen.
b) § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB (nF) – Pro-rata-Regelung
Die in § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB eingeführte Pro-rata-Regelung bei der Pflichtteilsergänzung durch Reduzierung des Schenkungswerts in Höhe von 1/10 pro Jahr ist hingegen ein gelungenes Beispiel für eine gerechter erscheinende Pflichtteilsminimierung anstelle des vorherigen
Zitat
"Alles-oder-nichts-Prinzips"
Da davon auch gemeinnützige Organisationen und Stiftungen profitieren können, soweit eine wirkliche Leistung des Erblassers erfolgt, wäre unsere große Entscheidung zur Dresdner Frauenkirche, die nach einer Millionenspende als Beschenkte der Pflichtteilsergänzung gemäß § 2329 BGB – auch in Millionenhöhe – unterlag, heute anders ausgefallen.
c) § 2333 BGB (nF) – Pflichtteilsentziehung
Auch die Neuregelung zur Pflichtteilsentziehung gehört mit der radikalsten Reduzierung auf null in den Kreis der Pflichtteilsminimierungsinstrumente. Die Erweiterung des geschützten Personenkreises (Lebensgefährte, Stief- und Pflegekind) und des Entziehungsgrundes "Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung" geben diesem Instrument schärfere und wohl auch rechtsstaatlichere Konturen.