Erbe und Pflichtteilsberechtigter haben beide Erbrechte, die sich aus Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG ergeben. Da sie sich den Wert des Nachlasses teilen, bilden sie verfassungsrechtlich sozusagen eine Erbengemeinschaft. Ihre Erbrechte sind gleichwertig, keines ist besser als das andere. Daher begegnet eine Rechtsmeinung, wonach der Pflichtteilsberechtigte anteilig mit einer auf den Stichtag berechneten Einkommensteuer belastet werden muss, von der niemand mit hinreichender Gewissheit sagen kann, ob und in welcher Höhe sie jemals anfällt, verfassungsrechtlichen Bedenken.
Einfachrechtlich ist der Erbe dinglich an den Nachlassgegenständen beteiligt (§ 1922 Abs. 1 BGB), der Pflichtteilsberechtigte hingegen nur schuldrechtlich an ihrem Wert (§ 2303 Abs. 1 S. 3 BGB). Er soll dafür entschädigt werden, dass er kein Eigentum am Nachlass erworben hat und wirtschaftlich so dastehen, als sei er zur Hälfte seines gesetzlichen Erbteils Erbe geworden.
An dieser Rechtslage orientiert sich die Besteuerung. Wäre der Pflichtteilsberechtigte entsprechend seiner Quote Eigentümer geworden, wäre er an den stillen Reserven der steuerverstrickten Nachlassgegenstände beteiligt und müsste sie anteilig versteuern, wenn sie realisiert werden. Da er das nicht ist, trifft die Steuer allein den Erben.
Müsste der Erbe die Einkommensteuer allein tragen, wäre sein Erbrecht in gleichheitswidriger Weise beeinträchtigt. Deshalb muss der Pflichtteilsberechtigte daran beteiligt werden. Nur dann sind die verfassungsrechtliche Wertgleichheit der Erbrechte und die einfachrechtliche wirtschaftliche Nachlassteilung zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten gewährleistet. Das führt zu dem Ergebnis, dass die entstandene Einkommensteuer in voller Höhe die Teilungsmasse mindert, also den Wert, der dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten für die Befriedigung ihrer Erbrechte zur Verfügung steht. Dann geht sie in voller Höhe in die Rechnung ein, sodass sie weder geschätzt noch abgezinst werden muss. Dass sie, wenn sie progressiv ist, höher ausfällt, ist ein steuersystembedingter Nachteil, der im Pflichtteilsrecht hingenommen werden muss.
In einem Insolvenzverfahren gehören die Verwertungskosten zu den Masseverbindlichkeiten im Sinne der §§ 324 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Sie verringern das Vermögen, das zur Verteilung unter den Gläubigern zur Verfügung steht. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH gehört die Einkommensteuer auf stille Reserven zu diesen Verwertungskosten. Daher mindert sie in einer Nachlassinsolvenz den Pflichtteil, der nach § 327 Abs. 1 Nr. 1 InsO nach den Masseverbindlichkeiten zum Zuge kommt.
Als Masseverbindlichkeit ist die Einkommensteuerschuld zugleich eine Nachlasserbenschuld im Sinne von § 1967 Abs. 2, 3. Fall BGB, da sie durch die Verwertung von Nachlassgegenständen entsteht und deswegen Bezug zum Nachlass hat.
Bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts müssen die Grundrechte des Erben aus Art. 6 und Art. 14 GG interpretationsleitend berücksichtigt werden, damit ihre wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Das kann allerdings nicht erfolgen, indem die Pflichtteilsberechnung, bei der sich die Einkommensteuer nicht ausgewirkt hat, nach § 2313 Abs. 2 BGB berichtigt wird. Denn die Vorschrift bleibt unanwendbar. Dass die Einkommensteuerschuld ungewiss ist, ist sicherlich richtig. Aber das allein kann die Anwendung der Vorschrift nicht rechtfertigen. Denn sie wäre auch dann nicht abzugsfähig, wenn sie am Stichtag gewiss wäre, weil das Stichtagsprinzip es verbietet, Nachlasserbenschulden bei der Bewertung des Nachlasses zu berücksichtigen.
Die Lösung besteht vielmehr darin, § 1978 Abs. 2 BGB, und darüber das Auftragsrecht, analog anzuwenden. Wäre die Einkommensteuer bis zur Berechnung des Pflichtteils angefallen, hätte der Erbe vom Nachlass Befreiung von dieser Nachlasserbenschuld verlangen können, und wenn der die Einkommensteuer zulasten seines Eigenvermögens bezahlt hätte, hätte ihm ein Ersatzanspruch gegen den Nachlass zugestanden (§ 670 BGB). Hier wie dort hätte er mit Wirkung gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten aus dem Nachlass, in den das Entgelt für den veräußerten Nachlassgegenstand gefallen ist (vgl. §§ 2041, 2019, 2111 BGB), die zur Zahlung der gegen ihn festgesetzten Einkommensteuer erforderlichen Mittel entnehmen können. Wegen der Zeitdifferenz war das nicht möglich. Daher hat der Pflichtteilsberechtigte rechtsgrundlos mehr bekommen, als ihm zustand. Dieses Mehr muss er nach § 812 Abs. 1 S. 2 BGB herausgeben. Eine Zeitgrenze für eine Korrektur kann nicht praeter legem festgelegt werden, weil das willkürlich wäre. Nur wenn bereits bei Geltendmachung des Pflichtteils mit der erforderlichen Gewissheit feststeht, dass ein steuerverstrickter Nachlassgegenstand demnächst veräußert wird, kann die Einkommensteuer sofort in die Berechnung einbezogen werden.