In der Praxis sind für Patientenverfügungen zahlreiche "Formulierungsbeispiele" entwickelt worden. Bis zu dem BGH-Beschluss wurde es grundsätzlich als eine gute Idee gesehen, solche Formulierungen zu verwenden. Daran sind nun ganz erhebliche Zweifel angebracht, denn die vom BGH ausdrücklich zitierten (Rn 2) und abgelehnten konkreten Formulierungen aus dem von ihm entschiedenen Fall waren bisher in der Praxis ganz weitgehend üblich. Bislang geradezu propagierte Musterformulierungen hat der BGH als nicht ausreichend konkret bewertet. Solche Formulierungen sind von bekannten "Stellen" und Fachleuten vorgeschlagen worden und deshalb weit verbreitet. Man sehe nur die einschlägige Broschüre des Bundesministeriums der Justiz aus dem Jahre 2010 mit entsprechenden "Textbausteinen".
Der BGH-Beschluss ist deshalb ein erhebliches Problem für viele Menschen. Sie können sich nun nicht mehr auf die Umsetzung ihrer entsprechenden Patientenverfügung verlassen. Der BGH (Rn 45 ff, insb. Rn 47 f) verneint bei entsprechenden Formulierungen sogar überhaupt die Existenz einer Patientenverfügung im Sinne des Gesetzes (§ 1901 a Abs. 1 S. 1 BGB). Es fehle die "zu verlangende bestimmte Behandlungsentscheidung". Das ist eine deutliche Aussage! Sie gibt allerdings in der Rechtspraxis gerade keine Sicherheit, sagt uns der BGH doch nicht, wie eine "richtige", tragfähige Patientenverfügung auszusehen hat. Hierzu bleibt er merkwürdig unkonkret und praxisfern. Er hatte ja (an sich) auch nur seinen konkreten Fall zu entscheiden und nicht uns Berater zu beraten.
Zu folgen ist dem BGH, wenn er betont (Rn 46), die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürften nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann mit dem BGH in der Tat an sich "nur", dass der betroffene Mensch umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was ggf. nicht. Angesichts der aktuellen Fortschritts- und Erkenntnisgeschwindigkeit in der Medizin kann nicht gefordert werden, wie auch der BGH hervorhebt, dass der Betroffene seine eigene Krankheitsbiografie als Patient vorausahnt und zukünftige Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt. Das aber bedeutet eine doch relativ niedrige Schwelle für eine wirksam konkretisierte Patientenverfügung. Ausgehend davon, erscheint mir die Argumentation des BGH widersprüchlich, wenn er die Konkretisierung durch das Verweisen auf bestimmte Behandlungssituationen ausdrücklich als zu unkonkret ablehnt.
Die Gedanken des BGH erinnern mich an die Andeutungstheorie, die wir insbesondere vom Recht der letztwilligen Verfügungen her kennen (Palandt/Ellenberger, § 133 BGB Rn 19). Sollte dieser Gedanke nicht auch hier ganz konsequent angewendet werden, wo der Patient ähnlich dem verstorbenen Erblasser ja eben auch nicht mehr selbst über sein Schicksal verfügen und erläutern kann, was er genau gewollt hat?
Der BGH selbst nennt in drei Zeilen nur folgende Möglichkeiten der erforderlichen Konkretisierung (Rn 47):
a) die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen (Ist dieser Ansatz konkreter als bisher üblich? Wie der BGH selbst betont, kann der Patient auch dazu als Nichtfachmann nicht in die Zukunft sehen.)
b) die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten (Ja, das erscheint möglich, aber eben doch nur, soweit der Patient diese Krankheiten aktuell kennt.)
c) die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Behandlungssituationen (Gerade das hat die Beratungspraxis bisher schon versucht, aber so ist es aus Sicht des BGH nicht ausreichend konkret. Was aber konkret soll hier konkreter formuliert werden?)
Ja, das Leben ist ein ganz, ganz hohes Gut. Der Gesetzgeber hat, wie es auch der BGH sieht (Rn 42), mit den gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung allerdings das Ziel verfolgt, Betroffenen eine vorsorgende privatautonome Entscheidung zu ermöglichen. Diese muss in einem in der Praxis machbaren, praktikablen Umfang möglich sein und bleiben, sonst läuft die gesetzliche Regelung ins Leere.
Bei alledem sollten wir auch nicht verkennen, wie sehr es für das deutsche Recht (anders als z. B. wohl im US-amerikanischen Recht) als eine Errungenschaft begriffen wird, dass wir durch Beispiele konkretisierte Generalklauseln verwenden (Palandt/Sprau, Einl. vor § 1 BGB Rn 42). Damit haben wir in unserem Rechtsraum große Erfahrung. Die Konsequenz daraus ist natürlich, dass derjenige, der aufgrund einer Generalklausel zu entscheiden hat, einen erheblichen Entscheidungsspielraum hat. So war es in dem Fall auch bei der bevollmächtigten Tochter. Das hat der BGH in seinem Beschluss betont. Zum "Abschalten" kann ein Bevollmächtigter deshalb grundsätzlich nicht gezwungen werden. Gerade dazu hatte der BGH in dem ihm vorliegenden speziellen Fall zu entscheiden, aber eben nicht generell zu dem erforderlichen Inhalt von Patientenverfügungen. Der BGH hätte deshalb aus meiner Sicht gar nicht so grundlegend entscheiden müssen. Nun wirkt es, als sei er über das Ziel hinausgeschossen. Für die Praxis sehe ic...