a) Allgemeines
Für die Praxis ist das Urteil von großer Relevanz: Üblicherweise werden freiwillige Pflegeleistungen innerhalb der Familie, insbesondere von Kindern gegenüber ihren Eltern erbracht. Daher muss bei sämtlichen Erwerben von Todes wegen sowie solchen zu Lebzeiten geprüft werden, ob der "Pflegefreibetrag" in Betracht kommt. Denn gerade derjenige Angehörige, der sich gegenüber dem künftigen Erblasser bzw. Schenker altruistisch verhält, wird durch Zuwendungen im Rahmen der (vorweggenommenen) Erbfolge regelmäßig Vermögenswerte erhalten.
Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass sich der steuermindernde Effekt des Freibetrags gerade im Eltern-Kind-Verhältnis im Lichte der hierauf anzuwendenden Steuersätze nach § 19 ErbStG, in den meisten Fällen wohl in Grenzen halten wird. Bei einem steuerpflichtigen Nachlass von 800.000 EUR beträgt (nach Freibetrag) der Steuersatz im Verhältnis Elternteil zu Kind 15 %. Wird der Pflegefreibetrag z. B. iHv 10.000 EUR anerkannt, stellt sich eine Steuerersparnis iHv (nur) 1.500 EUR ein. Andererseits spielt gerade bei der steuerlichen Beratung von Privatpersonen neben dem wirtschaftlichen der emotionale steuerliche Effekt eine nicht ganz unwesentliche Rolle.
b) "Pflege"
Die angesprochene weite Auslegung des Begriffs "Pflege" iSd § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG über die in § 14 Abs. 4 SGB XI auf- geführten Hilfeleistungen im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung hinaus, sollte in der Praxis genutzt werden. Denn nach den gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 19.12.2011 idF vom 4.6.2014 sind auch (nur) die Erledigung von Botengängen sowie schriftlichen Angelegenheiten, Besprechungen mit Ärzten, Vorsprachen bei Behörden und insbesondere die seelische Betreuung des Erblassers hierunter subsumierbar.
Konkret zählen zu den Pflegeleistungen die Unterstützung und Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege (z. B. Waschen, Duschen, Kämmen), der Ernährung (z. B. Zubereiten und Aufnahme der Nahrung), der Mobilität (z. B. selbständiges Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung) und der hauswirtschaftlichen Versorgung (z. B. Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung). Voraussetzung ist dabei stets, dass die Leistungen regelmäßig und über eine längere Dauer erbracht worden sind. Die erbrachten Leistungen müssen im allgemeinen Verkehr einen Geldwert haben.
c) Hilfsbedürftigkeit
Die Hilfsbedürftigkeit des Erblassers bzw. Schenkers kann in der Praxis stets durch Nachweis einer Pflegestufe bzw. eines Pflegegrades gegenüber der Finanzverwaltung belegt werden. Kumulativ bzw. alternativ, sofern kein Pflegegrad besteht, kann ein ärztliches Attest vorgelegt werden.
Ferner kann nach den angesprochenen gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden regelmäßig unterstellt werden, dass die Hilfsbedürftigkeit eines Menschen mit fortschreitendem Alter zunimmt. Sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen, kann bei einem über 80 Jahre alten Menschen entsprechend von einer Hilfsbedürftigkeit ausgegangen werden, ohne dass es hierzu eines Nachweises seitens des Steuerpflichtigen in Form eines ärztlichen Attests oder vergleichbarer Bescheinigung bedarf. Die Unterbringung und Versorgung in einem Pflegeheim steht der Hilfsbedürftigkeit, und damit der Berücksichtigung von Pflegeleistungen, nicht entgegen, da diese auch gegenüber Personen erbracht werden können, die in einer entsprechenden Institution leben und versorgt werden.
d) Bewertung der Pflegeleistung
Für die Bewertung der Pflegeleistungen, mithin die Höhe des anzusetzenden Freibetrags, sollte eine Dokumentation der Tätigkeiten erfolgen. Es bietet sich hierbei an, im Rahmen eines "Pflegetagebuchs" den genauen Zeitaufwand (inklusive An- und Abfahrt) sowie die konkrete Tätigkeit zu dokumentieren. Bei regelmäßiger Hilfe kann erfahrungsgemäß Gegenüber dem Finanzamt auch eine durchschnittliche Stundenanzahl pro Tag ausreichend sein. In diesem Zusammenhang kann nach der vom BFH in den aktuellen Entscheidungen bestätigten bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung von einem Einzelnachweis abgesehen und der vollständige Freibetrag iHv 20.000 EUR gewährt werden, wenn der Erblasser (Schenker) vom Erwerber langjährig, intensiv und umfassend betreut und gepflegt wurde. Konkret kommt in diesen Fällen als Nachweis jedenfalls mindestens ein Pflegegrad 3 über den Zeitraum von mehreren Jahren in Betracht.
Die erbrachten Pflegeleistungen können in der Praxis regelmäßig mit einem pauschalen Stundensatz iHv 11 EUR angesetzt werden. Dem Erwerber steht es frei, ...