1. Allgemeines

Bis Ende 2006 war die Steuer auf die stillen Reserven nach § 6 AStG a.F. unmittelbar bei Wegzug fällig. Nachdem der EuGH in dem Urteil in der Rechtssache de Lasteyrie[52] die dem § 6 AStG a.F. entsprechende französische Regelung zur Wegzugsbesteuerung für europarechtswidrig erklärt hat, wurde im Rahmen des SEStEG die Vorschrift des § 6 AStG neu gefasst. Die damalige Gesetzesänderung ist zum 1.1.2007 in Kraft getreten.

Die Wegzugsbesteuerung in Deutschland befindet sich nunmehr in einer neuen Umbruchphase hin zu einer weiteren Erschwerung für Wegzugswillige. Ähnlich wie nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache de Lasteyrie war der deutsche Gesetzgeber nach Erlass des Urteils des EuGH in der Rechtssache Wächtler[53] zu gesetzgeberischem Tun gezwungen. Bereits im Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission/Portugal[54] ließ der EuGH erkennen, dass er die bis dahin praktizierte Unterscheidung zwischen gegenständlicher und persönlicher Entstrickung hinsichtlich der Rechtsfolgen aufgeben will.

§ 6 AStG wurde nunmehr durch das Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz)[55] völlig neugestaltet. Nach Darstellung des BMF verpflichtet die zugrunde liegende Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 die EU-Mitgliedstaaten zur Anpassung insbesondere ihrer steuerlichen Regelungen zur Entstrickungs- und Wegzugsbesteuerung (Art. 5 ATAD), zur Hinzurechnungsbesteuerung (Art. 7 und 8 ATAD) sowie zur Neutralisierung von Besteuerungsinkongruenzen im Zusammenhang mit hybriden Gestaltungen (Art. 9 und 9b ATAD), soweit diese nicht bereits dem von der ATAD vorgegebenen Mindeststandard entsprechen.[56]

[52] EuGH, Urt. v. 11.3.2004 – Rs. C-9/2002.
[55] BGBl I 2021, 2035.

2. Besteuerung des Vermögenszuwachses an Kapitalgesellschaften, § 6 AStG n.F.

a. § 6 AStG n.F. durch das ATAD-Umsetzungsgesetz

Im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich der Norm hat sich im Vergleich zur alten Fassung die Dauer der’unbeschränkten Einkommensteuerpflicht geändert: Erfasst werden nach § 6 Abs. 1 S. 1 AStG n.F. natürliche Personen, die insgesamt mindestens sieben Jahre in den letzten 12 Jahren nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig waren. Die bisherige starre Zehn-Jahres-Frist wurde also stark modifiziert. Insbesondere bei Entsendungsfällen mit Aufenthaltszeiten in Deutschland zwischen den Auslandsaufenthalten ist nun Vorsicht geboten, da in diesen Fällen typischerweise sieben Jahre unbeschränkter Einkommensteuerpflicht in 12 Jahren insgesamt eher verwirklicht werden als zehn Jahre unbeschränkter Einkommensteuerpflicht am Stück.

Bei Anteilserwerb durch zumindest teilweise unentgeltliches Rechtsgeschäft wird nach § 6 Abs. 2 S. 1 AStG n.F. weiterhin auch die Dauer der unbeschränkten Steuerpflicht des Rechtsvorgängers in die Zehn-Jahres-Frist miteinbezogen. Perioden, in welchen der Rechtsvorgänger sowie sein Nachfolger gleichzeitig unbeschränkt steuerpflichtig sind, werden nur einmal berechnet, § 6 Abs. 2 S. 3 AStG n.F.

Sachlich setzt die Norm das Halten von Anteilen i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG (Anteile i.H.v. mindestens 1 % am Kapital von in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften innerhalb der letzten fünf Jahre) voraus. Noch nicht geklärt scheint, ob auch Anteile an zur Körperschaftsteuerbesteuerung optierenden Personengesellschaften aufgrund der Fiktion des § 1a KStG in den sachlichen Anwendungsbereich von § 6 AStG fallen.

Besteuerungstatbestände sind nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1-4 AStG n.F. neben der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts die Folgenden:

(weiterhin) Schenkung (auch gemischt) oder Vererbung der Anteile auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person;
(subsidiär zu den vorgenannten Gründen) Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile.

Besteuerungszeitpunkte, d.h. die Zeitpunkte, zu denen die Veräußerung fingiert wird, sind

im Fall der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts die tatsächliche Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht;
im Fall der Schenkung (auch gemischt) oder Vererbung der Anteile auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person der Zeitpunkt der Übertragung;
im Fall des sonstigen Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile der Zeitpunkt, zu dem der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts eintritt.

Rechtsfolge der Wegzugsbesteuerung ist nach § 6 Abs. 1 S. 1 AStG n.F. die Anwendung von § 17 EStG, d.h. der Ansatz eines fiktiven Veräußerungsgewinns zum zuvor erläuterten Besteuerungszeitpunkt. Nach §...

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