I. DBA-Politik aus der Perspektive Schweiz
Prof. Dr. Hinny erläuterte, dass auch aus Schweizer Perspektive in der überwiegenden Anzahl der Doppelbesteuerungsabkommen für die steuerliche Erfassung grenzüberschreitender Einkünfte die Freistellungsmethode vorgesehen sei. Die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung gehöre indes nicht zu den Zielen der Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz. Dies sei konsequent, da bereits die Titel der Abkommen ausschließlich die Vermeidung der Doppelbesteuerung als Zielbestimmung zum Gegenstand hätten. Entsprechend müsse es bei einer Nichtbesteuerung bleiben, sofern die Freistellungsmethode Anwendung finde. Im innerstaatlichen Steuerrecht der Schweiz existiere darüber hinaus keine Hinzurechnungsbesteuerung. Eine gesetzliche Grundlage, die die Hinzurechnung von Gewinnen ausländischer Tochtergesellschaften zum steuerbaren Gewinn der Muttergesellschaft legitimieren würde, fehle damit. Schließlich seien im Schweizer Steuerrecht keine Treaty Overrides vorgesehen. Diese Vertragsbrüche sehe er kritisch, da einerseits die Verlässlichkeit des Vertragspartners infrage gestellt werde und andererseits die Möglichkeit bestehe, Verträge zu neu zu verhandeln oder Lösungen im Wege von Verständigungsverfahren herbeizuführen. Was die internationalen Tendenzen zur Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs angehe, forciere die eidgenössische Steuerverwaltung eine solche Entwicklung nicht.
II. Unilaterale Tendenzen deutscher Abkommenspolitik
Nach Prof. Dr. Lehner weise die deutsche Abkommenspolitik Tendenzen unilateraler Abkommenspolitik auf. Diese Entwicklung sei nicht nur vor dem Hintergrund des verstärkten Einsatzes von Treaty Overrides zur unilateralen Überwindung von durch Doppelbesteuerungsabkommen ausgehenden Besteuerungsrestriktionen zu erkennen, sondern ergebe sich auch durch das am 1. August 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Hiernach seien Steuerpflichtigen seit 2010 besondere Mitwirkungs- und Informationspflichten auferlegt worden, sofern sie Geschäftsbeziehungen zu Staaten unterhielten, die nicht aufgrund von Abkommen verpflichtet oder bereit seien, Auskünfte zu erteilen. Primäres Ziel dieses Gesetzes sei es, unkooperativen Staaten die Vereinbarung von umfassenden Auskunftsklauseln aufzuoktroyieren; diese Zielsetzung gehe mit verfassungsrechtlichen Problemen einher.
III. Ziele deutscher Doppelbesteuerungsabkommen
Dr. Haas hinterfragte, ob die Vermeidung der doppelten Besteuerung und die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als gleichberechtigte Ziele verstanden werden könnten. Da die Finanzverwaltung grundsätzlich als Eingriffsverwaltung konzipiert sei, müsse die doppelte Belastung eines Steuerpflichtigen im Wege der Doppelbesteuerung eine andere rechtliche Behandlung erfahren als die doppelte Nichtbelastung im Wege der Doppelnichtbesteuerung. Schließlich finde bei einer doppelten Nichtbelastung des Steuerpflichtigen kein Eingriff statt. Indes könne man sich dem Themenkreis der doppelten Nichtbesteuerung nicht verschließen, da die OECD und damit auch andere Staaten sich zunehmend dieses Problembereichs annähmen. Es müssten verbindliche Kriterien entwickelt werden, nach denen die doppelte Nichtbesteuerung als (un-)zulässig angesehen werde. Möglicherweise seien solche Kriterien allerdings in Form des Außensteuerrechts bereits im deutschen Steuerrecht als ausreichende Schutzmechanismen vor doppelter Nichtbesteuerung vorhanden.