Können Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung einer Verfügung von Todes wegen überhaupt Gegenstand eines Mediationsverfahrens und einer Einigung in diesem Verfahren sein?
Streit herrscht bereits darüber, ob der erbrechtliche Auslegungsvertrag etwas anderes ist als ein Vergleich über das Erbrecht oder ob es sich also beim Auslegungsvertrag nur um einen Sonderfall eines Erbvergleichs handelt. Die Unterschiede sind nicht nur begrifflicher Art, sondern können beträchtliche praktische Bedeutung haben.
Es gibt Streit über ein unklares Testament. Neffe A als bekanntermaßen passionierter Reiter meint, er sei Miterbe zu 1/10, weil der Erblasser ihn mit der testamentarischen Formulierung "mein Reitersmann" gemeint habe. Dem gegenüber ist Neffe B der Auffassung, er sei gemeint, weil der Erblasser ihn häufiger scherzhaft im Verwandtenkreis so genannt hat, weil er bei diesem Sport als "Flasche" bekannt war und er ihn mit der Titulierung necken wollte. Weitere Aufklärung darüber, wen der Erblasser gemeint hat, ist zunächst nicht möglich. Da einigen sich A und B dahin gehend, dass sie das Testament in der Weise auslegen wollen, dass B als vom Erblasser ausgewählte Person gemeint ist. B stellt einen Erbscheinsantrag, wonach er zu 1/10 Miterbe ist; A und B teilen dabei ihre Auslegung dem Nachlassgericht mit.
Stellt man nur auf das gemeinschaftliche Schreiben von A und B ab, dann könnte man annehmen, die beiden seien ein Herz und eine Seele, und das sei immer so gewesen. Aber das gemeinschaftliche Schreiben ist nichts anderes als das Ergebnis einer Einigung, in der man die konträren Ansichten zum Ausgleich gebracht hat. Und gerade der Umstand, dass man einen Auslegungsvertrag abschließt, ist ein (fast) unwiderlegbares Indiz dafür, dass man gegenteilige Standpunkte hatte, denn anderenfalls brauchte man ja keinen Vertrag zu schließen. Wo man gleicher Ansicht ist, da ist das Besiegeln der gemeinsamen Auffassung überflüssig. Und das Herbeiführen einer vertraglichen Bindung in solchem Fall könnte dann doch wohl nur den Sinn haben, jeweils den anderen Vertragspartner an der vorhandenen gemeinsamen Auffassung festzuhalten, also dem Fall vorzubeugen, dass einer seine Meinung ändert; und das scheint man ja immerhin schon als möglich in Erwägung zu ziehen. Aber dann ist es schon ein Vergleich, weil eine "Ungewissheit der Parteien" über eine künftige Rechtsentwicklung geregelt werden soll (§ 779 BGB). Soll nur die gemeinsame Auffassung dokumentiert werden, so ist das kein Vertrag, weil ein Vertrag voraussetzt, dass etwas rechtsgeschäftlich geregelt wird, was hier nicht beabsichtigt ist, und weil bei einem Vertrag sich zudem die Partner "gegensätzlich" gegenüberstehen müssen, was bei bloßer Dokumentation, der Schaffung einer Urkunde, nicht der Fall ist.
Als Ergebnis ist also festzuhalten, dass ein erbrechtlicher Auslegungsvertrag eine besondere Art des erbrechtlichen Vergleichs darstellt. Das Bestreben, eine Einigung über die Auslegung einer Verfügung von Todes wegen herzustellen, kann somit Gegenstand eines Mediationsverfahrens sein.