47. Berliner Steuergespräch – Tagungsbericht
Einführung
Das 47. Berliner Steuergespräch – moderiert von Herrn Berthold Welling – bot ein Forum zum Austausch zwischen Steuerwissenschaft, Steuerpraxis und -politik, an dem neben den zwei Referenten Herrn Prof. Dr. Jochen Hundsdoerfer und Herrn Dr. Christian Kaeser auch Frau Angela Nottelmann, Herr Mathias Gerner sowie Herr Michael Sell mitwirkten.
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Die mit der Globalisierung einhergehende fortschreitende Verflechtung der Weltwirtschaft hat vielfältige Auswirkungen. Ihre wichtigsten ökonomischen Folgen zeigen sich in der wirtschaftlichen Integration von Nationalstaaten, der Zunahme des grenzüberschreitenden Handels mit Gütern und Dienstleistungen sowie im Wachstum grenzüberschreitender Direktinvestitionen. Während diese Entwicklungen für (multi-)nationale Unternehmen zahlreiche strategische Optionsmöglichkeiten zur Erhaltung und Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit eröffnen, sehen sich die Staaten im Gegenzug einem verschärften internationalen Standort- und Steuerwettbewerb ausgesetzt. Bei der Entscheidung eines Unternehmens für oder gegen einen Wirtschaftsstandort spielen Art und Höhe der Steuern als Kostenfaktor eine bedeutende Rolle.
A. Referate
I. Standortabhängige Steuerbelastungen und Standortentscheidungen
1. Die Bedeutung von Steuern bei Standortentscheidungen
Herr Prof. Hundsdörfer gab zu Beginn seines Vortrags einen systematischen Überblick zu standortabhängigen Steuerbelastungen und Standortentscheidungen. Zur Frage, wie Unternehmen Standortentscheidungen treffen, habe Devereux ein überprüfbares Schema entwickelt. Danach wähle ein Unternehmen zuerst die Standorte aus, an denen es grundsätzlich tätig werden möchte. Ausschlaggebend bei dieser Entscheidung sei der maßgeblich vom Tarif bestimmte effektive Durchschnittssteuersatz (EATR – Effective Average Tax Rate). Anschließend werde über das Investitionsbudget an den jeweiligen Standorten entschieden, wofür der stark von der Bemessungsgrundlage beeinflusste effektive Grenzsteuersatz (EMTR – Effective Marginal Tax Rate) ausschlaggebend sei. Wenn die Investitionen durchgeführt und die Geschäfte getätigt würden, komme es zu einer Allokation von Bemessungsgrundlagen über die Konzernstruktur, Organkreise, Finanzierung, Verrechnungspreise, Gewinnverwendung und Ähnliches. Für die Entscheidung über diese Allokation spiele nach der Theorie der nominale Steuersatz die entscheidende Rolle.
Diese Theorie sei von vielfachen Studien überprüft worden. Bei der Ausgangsfrage zur Standortauswahl kämen diese Studien zu dem Ergebnis, dass die Senkung des Steuersatzes um 1 % die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit einer Ansiedlung um immerhin 1,5 bis 2,6 % erhöhe. Die damit im Zusammenhang stehende Beurteilung über die Höhe bzw. optimale Justierung des Steuersatzes sei in der Literatur jedoch umstritten. Für die Frage des Investitionsbudgets am jeweiligen Standort sei nicht hauptsächlich der Tarif, sondern vielmehr die Bemessungsgrundlage ausschlaggebend. Die wenigen empirischen Untersuchungen hierzu zeigten, dass weltweit eine Senkung des Steuersatzes um 1 % das durchschnittliche Investitionsvolumen der Unternehmen um 0,4 bis 1 % erhöhe. Die Effekte von Standortauswahl und Investitionsbudget zusammen brächten zwar Vorteile, die aber bei Weitem nicht für die vollständige Gegenfinanzierung einer Reform ausreichten. Zu beachten seien allerdings noch die Gewinnallokationsmöglichkeiten, also die Möglichkeiten, einen Gewinn in einen anderen Staat zu verlagern. Je größer die Möglichkeiten der Steuerplanung an einem Standort seien, desto unwichtiger werde der Steuersatz. Ergebnis der 2008 von Huizinga/Laeven dazu durchgeführten größten Studie für Konzerne in Gesamteuropa sei gewesen, dass eine Erhöhung des Steuersatzes um 1% die durchschnittlichen Gewinne der Tochtergesellschaften in dem betroffenen Land um ungefähr 1,3 % senke.
Ein weiterer wichtiger Punkt für die Standortwahl sei die in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung bislang vernachlässigte Steuererhebung, die sogenannten Compliance Costs. Weitgehend ausgeräumt sei inzwischen das Vorurteil, Deutschland habe das komplizierteste Steuersystem der Welt. Laut der Studie Paying Taxes 2013 befinde sich Deutschland im Mittelfeld der untersuchten Länder. Für eine durchschnittliche Kapitalgesellschaft sei ein Arbeitsaufwand von 207 Stunden pro Jahr repräsentativ, wobei das Problem Deutschlands im Wesentlichen die Lohnsteuer und die Sozialabgaben seien.