Dem Abstellen für den Verjährungsbeginn auf die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigen vom Bestand des Nachlasses steht auch nicht das Stichtagsprinzip des § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB, welches vom BGH nun ebenfalls zur Begründung einer Verjährung herangezogen wird, entgegen.
Nach dem Stichtagsprinzip sind für die Berechnung des Pflichtteils der Bestand und der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls ausschlaggebend. Der BGH folgt daraus in seiner Entscheidung, dass Wertsteigerungen und Wertminderungen einzelner Vermögenspositionen des Nachlasses, die erst nach dem Erbfall eintreten, am Betrag des Pflichtteils nichts ändern können. Knüpfte man die Verjährung nun an die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten vom Bestand, Umfang und Wert des Nachlasses, würde das Abstellen auf das Stichtagsprinzip unterlaufen.
Diese Argumentation kann indes nicht überzeugen, denn damit wird der Fall einer nachträglichen Kenntniserlangung über einen Nachlassgegenstand gleichgestellt mit dem Fall einer nachträglichen Wertsteigerung von zum Nachlass gehörenden Vermögenspositionen. Dem Stichtagsprinzip des § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB wird eine Wertung zugeordnet, wonach generell die Höhe des Pflichtteilsanspruchs steigernden Umstände für dessen Berechnung keine Berücksichtigung finden dürfen. Eine solche Wertung ist dem Stichtagsprinzip jedoch aus mehreren Gründen nicht zu entnehmen.
Die Betrachtungsweise erscheint bereits im Hinblick auf den Wortlaut des § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB bedenklich. Nach diesem sind für die Berechnung des Pflichtteils der Bestand und der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich. Im Fall nachträglich erlangter Kenntnis von einem Nachlassgegenstand handelt es sich gerade nicht um einen Fall nachträglicher Wertsteigerung. Der Nachlassgegenstand gehörte auch im nach § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB maßgeblichen Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlich zum Bestand des Nachlasses. Die zunächst vorliegende Unkenntnis über den Nachlassgegenstand führt nicht dazu, dass dieser nicht mehr zum Bestand des Nachlasses zu zählen ist.
Auch aus den Gesetzesmaterialien zu § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB ergibt sich keine entsprechende Wertung. Den Gesetzesmaterialien ist kein eindeutiger Regelungszweck zu entnehmen. Dies spricht zunächst dafür, dass die Vorschrift allein formalen Charakter hat, was bereits gegen eine Heranziehung des Stichtagsprinzips zur Begründung der materiellen Frage der Verjährung spricht.
Soweit jedoch nach dem Wortlaut des § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB allein der Bestand und Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich sind und damit nachträgliche Wertänderungen für die Berechnung des Pflichtteils keine Berücksichtigung finden, ist das Stichtagsprinzip als eine Ausprägung der dem Pflichtteilsrecht zugrunde liegenden Abwägung zwischen der sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergebenden Testierfreiheit des Erblassers und der sich ebenfalls aus Art. 14 Abs. 1 GG ergebenden Erbrechtsgarantie des Pflichtteilsberechtigten in Form einer Mindestbeteiligung am Nachlass zu verstehen. Die Berücksichtigung nachträglicher Wertänderungen würde dazu führen, dass der Pflichtteilsberechtigte faktisch dem Erben gleichgestellt wird. So würde der Pflichtteilsberechtigte z. B. an einer nachträglichen Wertsteigerung eines zum Nachlass gehörenden Grundstücks ähnlich dem Erben partizipieren. Gleiches gilt z. B. für die Wertsteigerung von Aktien oder eines Kontos durch Zinszufluss. Diese Berücksichtigung widerspräche dem Willen des Erblassers, den Pflichtteilsberechtigten vollständig von der Erbschaft auszuschließen, und damit dessen Testierfreiheit. In Abwägung mit dieser soll die Erbrechtsgarantie jedoch eine Mindestbeteiligung des Pflichtteilsberechtigten garantieren. Im Rahmen dieser Abwägung dürfen durch das Stichtagsprinzip demnach nur solche Umstände ausgeschlossen werden, die den Pflichtteilsberechtigten faktisch wie einen Erben an einer Wertsteigerung teilhaben lassen. Zu diesen Umständen gehört jedoch nicht die nachträgliche Kenntniserlangung von Gegenständen, die zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlich dem Nachlass zugehörig waren. Deren Berücksichtigung führt gerade nicht zu einer faktischen Gleichstellung mit dem Erben, sondern aufgrund der tatsächlichen Zugehörigkeit zum Nachlass im maßgeblichen Zeitpunkt des Erbfalls allein zur Verwirklichung der vom Gesetzgeber in § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB getroffenen Abwägung. Aus dem Stichtagsprinzip ergibt sich somit nicht die vom BGH entnommene Wertung, sämtliche sich auf die Höhe des Pflichtteils auswirkenden Umstände auszuschließen. Durch die Berücksichtigung von Nachlassgegenständen, von denen erst nachträglich Kenntnis erlangt wurde, wird daher das Abstellen auf das Stichtagsprinzip nicht unterlaufen, sondern vielmehr die vom Gesetzgeber in § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB getroffene Wertung verwirklicht.