Würde man auf die Erteilung eines nationalen Erbrechtszeugnisses die Zuständigkeitsvorschriften der Artt. 4 ff EU-ErbVO anwenden, so liefe die internationale Zuständigkeit für die Erteilung des nationalen Erbrechtszeugnisses und für die Ausstellung eines ENZ (Art. 64 Satz 1 EU-ErbVO) parallel; für beide Arten von Erbrechtszeugnissen wären grundsätzlich gemäß Art. 4 EU-ErbVO die Nachlassgerichte bzw. Behörden im Mitgliedstaat des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers ausschließlich zuständig.
In der für das Wahlrecht des Art. 62 Abs. 2 EU-ErbVO relevanten Fallgruppe geht es allerdings nicht darum, welche Wirkungen ein nationales Erbrechtszeugnis im Ausstellungsstaat (d. h. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthalts) entfaltet, sondern welche Wirkungen es in einem anderen Mitgliedstaat entfaltet, in dem das Erbrechtszeugnis verwendet werden soll. Hierbei handelt es sich um die Frage, ob eine ggf. bestehende Vermutungs- und Gutglaubenswirkung des nationalen Erbrechtszeugnisses des Mitgliedstaats des letzten gewöhnlichen Aufenthalts (im obigen Beispielsfall: Italien) auf den Verwendungsmitgliedstaat (im Beispielsfall: Deutschland) erstreckt werden kann.
a) Keine Wirkungserstreckung nach Artt. 39 Abs. 1, 59 Abs. 1 EU-ErbVO
Da die Erstreckung die Vermutungs- und Gutglaubenswirkung – und damit materiellrechtliche Rechtsfragen – betrifft, lässt sich die Frage der Wirkungserstreckung nicht mit den zivilprozessualen Anerkennungsvorschriften der Artt. 39 ff EU-ErbVO beantworten. Auch Art. 59 Abs. 1 EU-ErbVO enthält keine Regelung zu der Frage, ob ein nationales Erbrechtszeugnis seine materiellrechtlichen Wirkungen auch in anderen Mitgliedstaaten entfaltet: Zwar lassen sich gerichtlich oder notariell ausgestellte nationale Erbrechtszeugnisse als öffentliche Urkunden iSv Artt. 3 Abs. 1 lit. i, 59 Abs. 1 EU-ErbVO ansehen. Art. 59 Abs. 1 EU-ErbVO erstreckt inhaltlich aber lediglich die Wirkungen der formellen Beweiskraft auf andere Mitgliedstaaten, also die Beweiskraft in Bezug auf die Echtheit der Urkunde. Materielle Rechtsfolgen wie eine Vermutungs- oder Gutglaubenswirkung sind davon nicht erfasst.
b) Materiellrechtliche Wirkungserstreckung durch Substitution
Da die EU-ErbVO die Frage der materiellen Wirkungserstreckung nationaler Erbrechtserzeugnisse nicht regelt, richtet sich die Beantwortung dieser Frage auch weiterhin nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Soweit es um die Wirkungserstreckung nationaler Erbrechtszeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten in Deutschland geht, ist eine zivilprozessuale Anerkennung nach § 108 Abs. 1 FamFG nicht möglich: Bei der Wirkungserstreckung ausländischer Erbrechtszeugnisse handelt es sich nicht um ein verfahrensrechtliches Problem der Anerkennung, sondern um ein materiellrechtliches Problem der Substitution.
Für eine Wirkungserstreckung bedarf es daher der funktionellen Gleichwertigkeit des ausländischen Erbrechtszeugnisses und des deutschen Erbscheins. Hierzu ist erforderlich, dass das ausländische Erbrechtszeugnis dieselben (weitreichenden) Wirkungen wie ein deutscher Erbschein hat; auch die ausstellende Behörde muss in ihrer Qualifikation und in dem befolgten Verfahren einem deutschen Nachlassgericht entsprechen.