1. Fall
Edgar und Marie leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen und haben einen gemeinsamen Sohn Max, wobei Edgar die Vaterschaft auch anerkannt hat. Kurz nach der Geburt kommt es zur Trennung und Marie zieht zusammen mit Max und ihrem neuen Lebensgefährten in eine andere Stadt. Der Kontakt zwischen Max und seinem leiblichen Vater bricht im weiteren Verlauf nicht zuletzt deswegen vollkommen ab, weil ihn die Mutter erfolgreich unterbindet. Als Edgar 20 Jahre später – zwischenzeitlich verwitwet und Vater einer weiteren Tochter Tina – verstirbt, hinterlässt er ein Testament, in dem er Tina zu seiner Alleinerbin bestimmt und Max mit der Begründung enterbt, er habe sich nie um ihn gekümmert und solle deshalb auch nichts bekommen. Hat Max Pflichtteilsansprüche nach seinem Vater?
a) Lösung nach deutschem Recht
Nach deutschem Recht ist Max als leiblicher Sohn von Edgar pflichtteilsberechtigt, § 2303 Abs.1 BGB. Der Umstand, dass Max nichtehelich geboren wurde, spielt für die Pflichtteilsberechtigung seit der Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder mit Inkrafttreten des Erbrechtsgleichstellungsgesetzes (ErbGleichG) vom 1.4.1998 keine Rolle. Die Rechtsstellung vor dem 1.7.1949 geborener nichtehelicher Kinder wurde mit dem 2. Erbrechtsgleichstellungsgesetz noch weiter gestärkt. Dieser Ansatz entspricht dem Grundgedanken der verfassungsrechtlich garantierten Mindestteilhabe am Nachlass, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Ausnahmen oder Durchbrechungen dieses Prinzips sind nach deutschem Recht nur in eng normierten Fällen, nämlich bei Vorliegen von Pflichtteilsentziehungsgründen (§§ 2333 ff BGB) oder bei Pflichtteilsunwürdigkeit (§ 2345 Abs. 2 BGB iVm § 2339 BGB) zulässig. Beides ist hier nicht einschlägig. Allenfalls angedacht werden könnte der Tatbestand der sog. böswilligen Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht (§ 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB), wobei der Sachverhalt hierfür nicht genügend Anhaltspunkte bietet. Der bloße Umstand, dass Vater und Sohn über (auch viele) Jahre hinweg keinen Kontakt zueinander hatten, ändert jedenfalls nichts an der Pflichtteilsberechtigung des Abkömmlings. Nach deutschem Recht steht Max daher ein Pflichtteilsanspruch mit einer Quote von 1/4 am Nachlass seines leiblichen Vaters zu.
b) Lösung nach österreichischem Recht
Die Gleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder ist auch in Österreich anerkannt und wurde zuletzt noch einmal durch das Kindschafts- und Namensrechtsänderungsgesetz 2013 durch die Abschaffung des Begriffs "unehelich" sowie der Abschaffung der "Legitimation durch nachfolgende Eheschließung" untermauert. Dass Edgar und Marie nicht miteinander verheiratet waren, hat demnach keinen Einfluss auf das Pflichtteilsrecht von Max. Als Edgars leiblichem Sohn steht ihm grundsätzlich ein Pflichtteilsanspruch zu, welcher gemäß § 759 ABGB nF der Hälfte des gesetzlichen Erbteils entspricht. Der Umstand, dass es jedoch bereits seit kurz nach der Geburt keinerlei Kontakt mehr zwischen Vater und Sohn gegeben hat, eröffnet die Möglichkeit, den Pflichtteil zu mindern. Im österreichischen ABGB findet sich folgende Bestimmung:
"§ 776 (1) ABGB nF: Der Erblasser kann durch letztwillige Verfügung oder Erbvertrag den Pflichtteil auf die Hälfte mindern, wenn er und der Pflichtteilsberechtigte zu keiner Zeit oder zumindest über einen längeren Zeitraum vor dem Tod des Erblassers nicht in einem Naheverhältnis standen, wie es zwischen solchen Familienangehörigen gewöhnlich besteht. "
(1) Das Recht auf Pflichtteilsminderung steht nicht zu, wenn der Erblasser den Kontakt grundlos gemieden oder berechtigten Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben hat.
(2) Die Pflichtteilsminderung muss vom Erblasser ausdrücklich oder stillschweigend durch Übergehung in der letztwilligen Verfügung angeordnet worden sein.“
Die Regelung der Pflichtteilsminderung erfuhr durch das Erbrechtsänderungsgesetz 2015 eine Erweiterung, welche nun ab 1.1.2017 in Kraft getreten ist. Nach bisherigem österreichischem Recht war es Voraussetzung, dass es "zu keiner Zeit" ein Naheverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten gegeben haben darf. Das bedeutet, dass niemals ein Naheverhältnis bestanden haben darf. Wenige Stunden, zum Beispiel bei der Geburt des Kindes, wurden toleriert, wenige Jahre hingegen, zum Beispiel die ersten drei Lebensjahre des Kindes, waren bereits zu viel für eine Minderung des Pflichtteils. Hierzu heißt es in den Erläuterungen der Regierungsvorlage:
"Diese Reduktionsmöglichkeit – die mit dem ErbRÄG 1989 eingeführt wurde (...) – erscheint heute zu restriktiv. Sie soll nach Abs. 1 dem Erblasser (...) auch dann ei...