Fall
Edgar ist 90 Jahre alt und benötigt Hilfe, um seinen Alltag meistern zu können. Er hat Anspruch auf Pflegegeld. Jeden Tag kommt eine Pflegerin des Roten Kreuzes zu ihm nach Hause. Zusätzlich kümmert sich Susi um ihn, die Tochter seiner Lebensgefährtin. Sie hat ihren Zweitjob als Kellnerin aufgegeben, um jeden Tag ein paar Stunden für Edgar zu kochen oder mit ihm spazieren zu gehen. Als Edgar im Alter von 93 Jahren stirbt, hinterlässt er zwei Söhne. Eine letztwillige Verfügung hat er nicht errichtet. Hat Susi einen erbrechtlichen Anspruch nach Edgar?
a) Lösung nach deutschem Recht
Nachdem Edgar kein Testament errichtet hat, tritt die gesetzliche Erbfolge in Kraft: Erben werden Edgars Söhne zu gleichen Teilen als gesetzliche Erben erster Ordnung, § 1924 Abs. 1, 4 BGB. Susi hat keinen Anspruch auf eine Beteiligung am Nachlass. Sie ist weder gesetzliche Erbin, noch steht ihr ein gesetzliches Vermächtnis zu. Die im deutschen Zivilrecht normierten gesetzlichen Vermächtnisse beschränken sich ausschließlich auf den sog. Voraus des Ehegatten (§ 1932 BGB) und den sog. Dreißigsten (§ 1969 BGB). Weitere gesetzliche Vermächtnisse gibt es nicht. Die einzige Regelung, die die Honorierung von Pflegeleistungen aufgreift, findet sich in § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB. Bei der Norm handelt es sich allerdings nicht um ein Vermächtnis, sondern um eine Verteilungsvorschrift im Rahmen der Erbauseinandersetzung. Begünstigt werden in diesem Zusammenhang ausschließlich Abkömmlinge des Erblassers, die Rechtsnachfolger kraft gesetzlicher Erbfolge werden oder quotengleich per letztwilliger Verfügung zu Erben eingesetzt wurden, §§ 2050 Abs. 1, 2052 BGB. Hätte Edgar die Pflegeleistungen von Susi honorieren wollen, hätte er eine letztwillige Verfügung errichten und sie in diesem Rahmen begünstigen müssen.
b) Lösung nach österreichischem Recht
Da Susi als Tochter der Lebensgefährtin des Verstorbenen auch nach österreichischem Recht keine gesetzliche Erbin ist, steht ihr grundsätzlich kein erbrechtlicher Anspruch zu. Nach neuer Rechtslage kann sie jedoch als "nahestehende Person" iSd § 677 ABGB nF angesehen werden.
Das sogenannte Pflegevermächtnis bringt mit dem ErbRÄG 2015 eine der wichtigsten Neuerungen im österreichischen Erbrecht mit sich und erweitert in bestimmten Fällen den Kreis der (konkreten) gesetzlichen Erben. Die §§ 677, 678 ABGB nF regeln die Abgeltung von Pflegeleistungen nahestehender Personen in Form eines gesetzlichen Vermächtnisses. Als zeitliche Voraussetzung sieht § 677 Abs. 1 ABGB nF die Pflege innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Tod des Verstorbenen sowie einen Zeitraum von zumindest sechs Monaten vor. Gemäß den Erläuterungen der Regierungsvorlage orientiert sich diese Zeitspanne am Bundespflegegeldgesetz, nach dessen § 4 Pflegegeld erst ab einem Betreuungsbedarf von zumindest sechs Monaten besteht. Erhielt der Verstorbene Pflegegeld nach dem BPGG, so ist dies in Österreich ein Indiz dafür, dass auch der für das Pflegevermächtnis erforderliche Zeitraum erfüllt wurde. Als umfängliche Voraussetzung wird die unbestimmte Formulierung von "nicht bloß geringfügigem Ausmaß" verwendet. Dies wird nach den Erläuterungen der Regierungsvorlage üblicherweise dann anzunehmen sein, wenn die Pflege ein Ausmaß von durchschnittlich mehr als 20 Stunden pro Monat in Anspruch genommen hat. Soweit jedoch bereits eine Zuwendung oder ein Entgelt für die geleistete Pflege gewährt oder vereinbart wurde, scheidet die Abgeltung in Form des Pflegevermächtnisses nach § 677 Abs. 1 ABGB nF aus.
Nach § 677 Abs. 2 ABGB nF ist Pflege: "jede Tätigkeit, die dazu dient, einer pflegebedürftigen Person soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen".
Nahestehend sind nach § 677 Abs. 3 ABGB nF: "Personen aus dem Kreis der gesetzlichen Erben des Verstorbenen, deren Ehegatte, eingetragener Partner oder Lebensgefährte und deren Kinder sowie der Lebensgefährte des Verstorbenen und dessen Kinder."
Auf ein konkretes gesetzliches Erbrecht kommt es nicht an. Der pflegenden Mutter des Erblassers steht das Vermächtnis daher auch dann zu, wenn diese erbberechtigte Kinder hinterlässt. Unter familienrechtlichen Gesichtspunkten wird überdies der Kreis der Vermächtnisnehmer um bestimmte Angehörige der gesetzlichen Erben erweitert, von denen der Gesetzgeber offenbar annimmt, dass sie üblicherweise Pflegeleistungen erbringen. Das Pflegevermächtnis kann somit auch der pflegenden Schwiegertochter oder dem Stiefkind zukommen.
Die Höhe des Vermächtnisses richtet sich nach Art, Dauer und Umfang der Leistungen (678 Abs. 1 ABGB nF). Die Bemessung orientiert sich dabei primär am dem dem Empfänger verschafften Nutzen, insbesondere an der Ersparnis von eigenen Aufwendungen, etwa für eine andere Arbeitskraft. Auf den Wert der Verlassenschaft soll es dagegen nicht ankommen. § 678 Abs. 2 ABGB nF legt schließlich fest, dass dieses Vermächtnis jedenfalls neben einem allfälligen Pflichtteil gebührt, neben anderen Leistungen aus...