Der gewöhnliche Aufenthalt wird in der Verordnung nicht definiert. Insoweit ist man also nicht den Vorschlägen gefolgt, die häufig im Zusammenhang mit der Studie bzw. dem Grünbuch geäußert wurden. Ausgehend davon, dass bei der Auslegung von europäischen Rechtsakten eine Lückenfüllung auf der Basis der nationalen Rechtsordnungen unzulässig ist und eine "autonome" Auslegung auf europäischer Ebene anzustreben ist, wird allein eine Orientierung an der Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Betracht kommen. Dieser hatte sich bereits zur Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen der Europäischen Verordnung Nr. 2201/2003 vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen (Brüssel IIa-Verordnung) geäußert. Durch Entscheidung vom 2. April 2009 hat er den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iSv Art. 8 Brüssel II a-Verordnung wie folgt definiert:
"Unter dem gewöhnlichen Aufenthalt ist der Ort zu verstehen, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Hierfür sind insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedsstaat sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes festzustellen."
In dieser Definition kann man erkennen, dass bislang überwiegend der gewöhnliche Aufenthalt von Kindern als Anknüpfungspunkt im Familienrecht ermittelt werden musste. Im Rahmen der Erbrechtsverordnung werden daher eigene Maßstäbe für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts von Erwachsenen herausgebildet werden müssen. Generell soll der gewöhnliche Aufenthalt auch im europäischen Recht den Lebensmittelpunkt einer Person bezeichnen. Dabei werden neben den objektiven auch subjektive Elemente berücksichtigt werden müssen.
Im Bereich des Erbrechts ist naturgemäß eine höhere Stabilität des Anknüpfungspunkts erstrebenswert als z. B. im Bereich des Minderjährigenschutzrechts oder im Bereich des Ehe- und Familienrechts. Da man sich in Brüssel anders als im Entwurf der Haager Erbrechtskonvention aber nicht entschließen konnte, den gewöhnlichen Aufenthalt um weitere Faktoren zu verstärken (wie z. B. die Staatsangehörigkeit oder eine bestimmte Mindestdauer des Aufenthalts im Aufenthaltsstaat), kann man die erforderliche Stabilität nur dadurch erreichen, dass man den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts für die Zwecke der Erbrechtsverordnung um einen "Integrationsfaktor" erweitert. Nur auf diese Weise könnte z. B. verhindert werden, dass ein bereits seit fünf Jahren auf Mallorca lebendes deutsches Rentnerehepaar, das dort aber ausschließlich in der deutschen Community verkehrt, seine familiären und finanziellen Interessen weiterhin ausschließlich in Deutschland hat und sich jedes Wochenende auf die neueste Ausgabe der heimischen "Welt am Sonntag" im Briefkasten freut, weiterhin nach dem deutschen Recht beerbt wird und nicht den Regeln des mallorquinischen Foralrechts unterfällt. Entsprechendes dürfte für die niederländischen Staatsangehörigen gelten, die allein aus Gründen der günstigeren Baulandpreise und höheren Gebäudequalität diesseits der niederländischen Grenze leben.
Problematisch an dieser strengeren Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts bei der Anknüpfung ist freilich, dass der Vorschlag auch die internationale Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers anknüpfen will (s. u., II). Im zivilprozessualen Bereich ist es aber wünschenswert, dass die zuständigkeitsbegründenden Umstände leicht und objektiv festzumachen sind, damit ein langer Streit um die Zulässigkeit der Klage vermieden wird. Der im internationalen Erbrecht angemessene "strengere" Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts macht aber eine umfassende Würdigung des gesamten Lebenssachverhalts erforderlich. Insoweit besteht daher die Gefahr, dass die Rechtsprechung für die Auslegung einen "Mittelweg" einschlägt.