Ansonsten kann allenfalls ein Aufgebotsverfahren zur Haftungsbeschränkung gegenüber einzelnen Nachlassgläubigern führen. Will S im Fall 1 Herr über den Nachlass bleiben, sein Haftungsrisiko aber gleichwohl verringern, so könnte er das gerichtliche Aufgebot (§§ 1970 ff) beantragen. Es ist in der Praxis "sehr selten", obwohl es vorteilhaft sein kann, weil es insbesondere in Fällen, in denen eine Überschuldung nicht zu erwarten ist, die Fremdverwaltung und die damit verbundenen Kosten vermeidet, zumal der Nachlassverwalter im Zweifel ohnehin ein Aufgebotsverfahren durchführen muss, um die Passiva zu ermitteln. Der Erbe erhält einen Überblick über die Forderungen gegen den Nachlass und kann entweder Nachlassinsolvenz beantragen oder gegenüber den ausgeschlossenen Gläubigern § 1973 geltend machen. Das Verfahren führt nicht zu einer dauerhaften Trennung von Nachlass und Eigenvermögen, wohl aber gestattet es dem Erben, seine Haftung gegenüber einzelnen Nachlassgläubigern, die sich trotz der Aufforderung nicht gemeldet haben, auf den dann noch vorhandenen Nachlasswert zu begrenzen. Die Forderung eines Gläubigers, der sich nicht gemeldet hat, besteht fort, er muss sich aber in der Warteschlange weit hinten anstellen; er kann seinen Anspruch nur durchsetzen, solange im Nachlass noch etwas vorhanden ist. Ist der Nachlass erschöpft, erhält er nichts mehr. Dem ausgeschlossenen Gläubiger gleichgestellt sind Nachlassgläubiger, die, auch wenn ein Aufgebotsverfahren nicht stattgefunden hat, ihre Forderung später als fünf Jahre nach dem Erbfall erstmals geltend machen. Der Erbe hat einen Überschuss nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben, wobei er die Herausgabe des Nachlassgegenstandes durch Zahlung des Wertes abwenden kann (§ 1973 Abs. 2 S. 1, 2 BGB). Dadurch wird das Eigenvermögen des Erben geschützt.
Für S im Fall 1 wären folgende Fallgestaltungen denkbar:
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Auf das Aufgebot melden sich weitere Gläubiger, woraus sich ergeben könnte, dass der Nachlass überschuldet ist. Dann dürfte S im Fall 1 die Forderung über 30.000 EUR nicht ausgleichen und müsste stattdessen Nachlassinsolvenz beantragen. |
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Es melden sich weitere Gläubiger mit oder ohne Titel, ohne dass 50.000 EUR erreicht werden. Dann wird sich S auf weitere Auseinandersetzungen und Abflüsse einrichten müssen. |
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Auf das Aufgebot meldet sich niemand. Dann weiß S, dass er, sollten nachträglich doch noch Gläubiger auftauchen, was keineswegs ausgeschlossen ist, schlimmstenfalls die restlichen 20.000 EUR (abzüglich der Verfahrenskosten) zahlen muss. Er hat viel Ärger, muss aber keinen größeren finanziellen Verlust fürchten. |
Fall 4: Wie Fall 1, aber mit der Maßgabe, dass S die Forderung der L erfüllt hat. Vorsorglich hat er das Aufgebotsverfahren durchgeführt. Nach weiteren zwei Jahren meldet sich ein weiterer, bisher unbekannter Gläubiger mit einer Forderung von 5.000 EUR.
Die Forderung ist zu erfüllen, da im Nachlass immer noch fast 20.000 EUR vorhanden sind. Die Haftungsbeschränkung tritt erst ein, wenn der Nachlass erschöpft ist. Anders wäre es, wenn der bisher unbekannte Gläubiger, der sich im Aufgebotsverfahren nicht gemeldet hat, 25.000 EUR beansprucht. Er könnte nur noch den Nachlassrest beanspruchen (§ 1973 Abs. 1 S. 1 BGB).
Fall 5: Wie Fall 1, aber mit der Maßgabe, dass ein Gläubiger sechs Jahre nach dem Erbfall erstmals von sich hören lässt und 20.000 fordert.
Hat S ein Aufgebotsverfahren durchgeführt, so hätte er die verbliebenen 20.000 EUR herauszugeben, nicht mehr. Hätte er sich in der Zwischenzeit von dem Geld eine Luxusreise geleistet oder einen Porsche zuschanden gefahren, so könnte er sich auf Entreicherung berufen.
Das Aufgebot ist nunmehr geregelt in den §§ 433–441 (allgemeine Vorschriften), 454–464 FamFG (Nachlass). Berechtigt, das Aufgebot zu beantragen, ist jeder Erbe (§§ 455 Abs. 1, 460 Abs. 1 FamFG), eine Frist für den Antrag gibt es nicht. Die Kosten für das Verfahren muss der Erbe tragen, es sind aber Nachlassverbindlichkeiten. Dem Antrag ist ein Verzeichnis der bereits bekannten Nachlassgläubiger beizufügen (§ 456 FamFG, früher § 982 ZPO). Das Gericht ruft die Gläubiger im Bundesanzeiger auf, ihre Ansprüche binnen einer Frist von höchstens 6 Monaten anzumelden (§ 458 FamFG, früher § 994 ZPO). Ihre Forderung anmelden müssen auch bekannte Nachlassgläubiger, selbst wenn ihr Anspruch bereits tituliert ist (Ausnahmen: dinglich gesicherte Gläubiger § 1971 BGB, Berechtigte aus Pflichtteilen, Vermächtnissen und Auflagen § 1972 BGB). Am Ende ergeht ein Ausschließungsbeschluss (§ 439 FamFG, früher § 952 ZPO).