a) § 2333 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 BGB
Einen Ausgangspunkt der Erbrechtsreform bildete bekanntlich der Beschluss des BVerfG vom 19. April 2005. Darin ging es u.a. um die Frage, ob der Pflichtteilsentziehungsgrund des § 2333 Nr. 1 BGB aF als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal schuldhaftes Handeln verlangte, wie es die ständige Rechtsprechung und die überwiegende Ansicht in der Literatur bis dahin forderten. Dieser Ansatz wurde als grundsätzlich verfassungskonform angesehen, solange es nicht zu einer ausschließlichen Orientierung an den strafrechtlichen Vorgaben des Verschuldenserfordernisses komme. Im Einzelfall müsse es ausreichen, dass der Pflichtteilsberechtigte den Entziehungsgrund mit "natürlichem Vorsatz" verwirkliche. Alles andere würde "dem verfassungsrechtlichen Erfordernis eines angemessenen Ausgleichs der gegenüberstehenden Grundrechtspositionen widersprechen."
Um diesen Vorgaben Rechnung zu tragen, hat der Reformgesetzgeber für den neuen Pflichtteilsentziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB in Satz 2 festgelegt, dass der Pflichtteil auch dann entzogen werden kann, wenn eine rechtskräftige Verurteilung des Berechtigten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung nur deshalb nicht möglich war, weil dieser schuldunfähig war und daher seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde. Seine rechtstechnische Umsetzung ist aber zumindest ungeschickt erfolgt, da damit im Wege eines Umkehrschlusses gefolgert werden könnte, dass die übrigen Entziehungsgründe stets ein schuldhaftes Verhalten verlangten. Setzte man diese Überlegungen konsequent um, wäre auch in Nr. 1 in jedem Fall ein schuldhaftes Fehlverhalten im strafrechtlichen Sinne erforderlich. Dies widerspräche jedoch der Entscheidung des BVerfG, was auch der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Daher gilt auch nach der Reform die Entscheidung des BVerfG unter dem neuen Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB fort.
b) § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB
Weiterhin offen und unbeantwortet bleibt demgegenüber, ob auch für § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB ein Vorsatz im natürlichen Sinne hinreichend sein kann oder eine Pflichtteilsentziehung hier stets Schuldfähigkeit im strafrechtlichen Sinne voraussetzt. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht hierzu aus, abschließende Meinungen in der Literatur haben sich noch nicht gebildet.
In seiner o. g. Entscheidung hat das BVerfG den Entziehungsgrund des § 2333 Nr. 1 BGB aF anhand des Wortlauts und der Systematik ausdrücklich von denen in § 2333 Nr. 2 und 3 BGB aF abgegrenzt und ist hierauf aufbauend zu dem Schluss gekommen, dass es für den Grund der Nr. 1 nicht auf ein Verschulden im strafrechtlichen Sinne ankomme. Diese Gegenüberstellung kann jedoch nicht als Beleg dafür angesehen werden, dass § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB stets ein schuldhaftes Verhalten voraussetzt, da das Gericht an anderer Stelle ausdrücklich offen gelassen hat, ob in Bezug auf den Pflichtteilsentziehungsgrund des § 2333 Nr. 2 BGB aF "im konkreten Fall aus verfassungsrechtlichen Gründen eine (§ 2333 Nr. 1 BGB aF) entsprechende Auslegung geboten ist und eine solche überhaupt in Betracht kommt". Diese Unsicherheiten verdeutlichen einmal mehr die Schwächen der Entscheidung des BVerfG, zumal sich aus ihr für die vorliegende Frage kaum handfeste Hinweise ableiten lassen. Demzufolge ist nach anderen Anhaltspunkten Ausschau zu halten. Für das stetige Erfordernis eines Verschuldens im strafrechtlichen Sinne in § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB spricht etwa der Umstand, dass es sich bei diesem Entziehungsgrund im Gegensatz zu § 2333 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 BGB nicht um generell besonders schwerwiegende Tatbestände handelt. Im Gegenzug lassen sich jedoch auch Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten unter den Begriff des Verbrechens subsumieren, die an den Schweregehalt einer Lebensnachstellung heranreichen können. Zu denken ist etwa an eine schwere Körperverletzung (§ 226 StGB), durch die der Erblasser in Siechtum oder Lähmung verfällt.
Vor diesem Hintergrund und dem verfassungsrechtlichen Erfordernis eines angemessenen Ausgleichs der gegenüberstehenden Grundrechtspositionen des Erblassers und des Pflichtteilsberechtigten wird man im Regelfall ein schuldhaftes Handeln im strafrechtlichen Sinne fordern müssen. Allerdings sprach das BVerfG seinerzeit davon, dass dies "im Einzelfall dem verfassungsrechtlichen Erfordernis eines angemessenen Ausgleichs der gegenüberstehenden Grundrechtspositionen widersprechen" könnte. Daher ist stets zu beachten, ob im Einzelfall eine andere Betrachtungs...