Weiterhin offen und unbeantwortet bleibt demgegenüber, ob auch für § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB ein Vorsatz im natürlichen Sinne hinreichend sein kann oder eine Pflichtteilsentziehung hier stets Schuldfähigkeit im strafrechtlichen Sinne voraussetzt. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht hierzu aus, abschließende Meinungen in der Literatur haben sich noch nicht gebildet.
In seiner o. g. Entscheidung hat das BVerfG den Entziehungsgrund des § 2333 Nr. 1 BGB aF anhand des Wortlauts und der Systematik ausdrücklich von denen in § 2333 Nr. 2 und 3 BGB aF abgegrenzt und ist hierauf aufbauend zu dem Schluss gekommen, dass es für den Grund der Nr. 1 nicht auf ein Verschulden im strafrechtlichen Sinne ankomme. Diese Gegenüberstellung kann jedoch nicht als Beleg dafür angesehen werden, dass § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB stets ein schuldhaftes Verhalten voraussetzt, da das Gericht an anderer Stelle ausdrücklich offen gelassen hat, ob in Bezug auf den Pflichtteilsentziehungsgrund des § 2333 Nr. 2 BGB aF "im konkreten Fall aus verfassungsrechtlichen Gründen eine (§ 2333 Nr. 1 BGB aF) entsprechende Auslegung geboten ist und eine solche überhaupt in Betracht kommt". Diese Unsicherheiten verdeutlichen einmal mehr die Schwächen der Entscheidung des BVerfG, zumal sich aus ihr für die vorliegende Frage kaum handfeste Hinweise ableiten lassen. Demzufolge ist nach anderen Anhaltspunkten Ausschau zu halten. Für das stetige Erfordernis eines Verschuldens im strafrechtlichen Sinne in § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB spricht etwa der Umstand, dass es sich bei diesem Entziehungsgrund im Gegensatz zu § 2333 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 BGB nicht um generell besonders schwerwiegende Tatbestände handelt. Im Gegenzug lassen sich jedoch auch Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten unter den Begriff des Verbrechens subsumieren, die an den Schweregehalt einer Lebensnachstellung heranreichen können. Zu denken ist etwa an eine schwere Körperverletzung (§ 226 StGB), durch die der Erblasser in Siechtum oder Lähmung verfällt.
Vor diesem Hintergrund und dem verfassungsrechtlichen Erfordernis eines angemessenen Ausgleichs der gegenüberstehenden Grundrechtspositionen des Erblassers und des Pflichtteilsberechtigten wird man im Regelfall ein schuldhaftes Handeln im strafrechtlichen Sinne fordern müssen. Allerdings sprach das BVerfG seinerzeit davon, dass dies "im Einzelfall dem verfassungsrechtlichen Erfordernis eines angemessenen Ausgleichs der gegenüberstehenden Grundrechtspositionen widersprechen" könnte. Daher ist stets zu beachten, ob im Einzelfall eine andere Betrachtungsweise geboten ist, etwa wegen der Schwere des Verbrechens bzw. des vorsätzlichen Vergehens oder der Art und Weise der Begehung der Tat. Aber auch das betroffene Rechtsgut oder die Erheblichkeit der Verletzung des Opfers können beachtlich sein. Der Wortlaut der Vorschrift steht dabei einer u. U. erforderlichen verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen: Die Begriffe des Verbrechens und des Vergehens sind in § 12 Abs. 1 und 2 StGB legal definiert, wobei dort ein schuldhaftes Handeln nicht erforderlich ist. Das "vorsätzliche Vergehen" sowie das "sich-schuldig-machen" lassen gleichfalls Raum dafür, dass nicht stets auf ein schuldhaftes Handeln im strafrechtlichen Sinne abgestellt werden muss.