Beiträge zum europäischen Familienrecht Band 12
Inge Kroppenberg/Dieter Schwab/Dieter Henrich/Peter Gottwald/Andreas Spickhoff (Hrsg.)
Gieseking-Verlag, 1. Aufl. 2009, 343 Seiten, 89,– EUR
ISBN: 978-3-7694-1053-2
Stellen Sie sich folgenden Fall vor: Die Eltern des Erblassers kommen aufgeregt zu Ihnen und fragen Sie um Rat: Ihr 23-jähriger Sohn sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Bislang gingen sie davon aus, dass sie diesen von Gesetzes wegen allein beerbt hätten. Nach der Beerdigung habe aber eine junge Österreicherin, mit der er in Ljubljana zusammen eine Wohnung geteilt habe, ihnen mitgeteilt, ihr stehe die Hälfte des Nachlasses aufgrund der nach slowenischem Recht für nichteheliche Lebensgemeinschaften geltenden gesetzlichen Gütergemeinschaft zu. Am Rest sei sie nach slowenischem Recht als gesetzliche Erbin beteiligt. Sie habe bereits einen Notar in Ljubljana mit einer Nachlassverhandlung beauftragt. Könne das denn sein?
Die nichteheliche Lebensgemeinschaft bildet seit Langem eine Zielscheibe der rechtspolitischen Debatte nicht nur in Deutschland. Im Fokus stehen dabei die – zumeist weiblichen – Lebensgefährten, die nach dem Ende des Verhältnisses häufig nicht nur persönlich, sondern auch finanziell im Regen stehen. Der vorliegende Band versammelt die Beiträge auf dem 9. Regensburger Symposium für Europäisches Familienrecht, das im Oktober 2008 unter dem Thema "Rechtsregeln für nichteheliches Zusammenleben" stand. Nach zwei einleitenden Beiträgen zur rechtlichen Entwicklung und zu der vertraglichen Gestaltungspraxis in Deutschland (von der Professorin Kroppenberg und dem Notar Dr. Dr. Grziwotz) folgen 12 Länderberichte aus allen Teilen Europas (Schweiz, Niederlande, Italien, Frankreich, Österreich, Spanien, Schweden, Griechenland, Ukraine, Slowenien, Belgien und England). Den Band beschließt eine brillante rechtsvergleichende Analyse von Dieter Henrich als "Zusammenfassung".
Die Länderauswahl deckt repräsentativ den gesamten europäischen Raum ab. Entgegen der ersten Vermutung überrascht die Erkenntnis, dass die in der deutschen Rechtsprechung geübte Zurückhaltung bei der Übertragung der finanziellen Regelungen für die Ehe auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft der Rechtsprechung und Gesetzeslage in den meisten anderen europäischen Staaten grundsätzlich entspricht. So gelten z. B. in den Niederlanden die ehelichen Regeln nur dann, wenn die nichteheliche Lebensgemeinschaft auch amtlich registriert wurde. Mit dem "freien Zusammenleben" verbindet diese Beziehung unter amtlichem Brief und Siegel dann lediglich, dass sie ohne Scheidung wieder aufgelöst werden kann. Selbst das schwedische Recht sieht für den verlassenen Lebensgefährten weder einen Ausgleich analog zu der für Eheleute geltenden Gütergemeinschaft noch ein gesetzliches Erbrecht vor, sondern allenfalls eine Teilung von Heim und Hausrat (weshalb man "günstiger" in der gemieteten denn in der eigenen Wohnung zusammenlebt). Unter den dargestellten Rechtsordnungen sieht allein die slowenische die finanzielle Gleichstellung mit der Ehe vor.
In dem eingangs genannten Fall wird daher die Beurteilung der Rechte der Lebensgefährtin des verstorbenen Sohnes im Wesentlichen von der (in Deutschland umstrittenen) kollisionsrechtlichen Fragestellung abhängen, welche Folgen aus der nichtehelichen Lebensgemeinschaft nach dem deutschen Erbstatut und welche nach dem slowenischen Aufenthaltsrecht zu beurteilen sind. Die familienrechtlichen Folgen werden sich wegen der unterschiedlichen Staatsangehörigkeit der Lebensgefährten wohl aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Paares nach dem slowenischen Familienrecht beurteilen. Dementsprechend wäre dann eine gesetzliche Gütergemeinschaft nach slowenischem Eherecht abzuwickeln.
Die Beiträge zu dem Sammelwerk sind in gewohnter Weise perfekt konzipiert, verfasst und redigiert. Die Autoren sind führende Experten auf diesem Gebiet in ihrem Heimatland und bürgen für umfassende und aktuelle Informationen. Das Buch ist daher nicht nur unverzichtbar für jeden, der grenzüberschreitende Ehe- und Erbfälle berät, sondern auch Pflichtlektüre bei der rechtspolitischen Diskussion um die rechtliche Behandlung nichtehelicher Lebensgemeinschaften in Deutschland.
Für Fachleute und Interessierte
Dr. Rembert Süß, Rechtsanwalt, Würzburg