(a) Höchstrichterliche Rechtsprechung
Der Nachranggrundsatz im Sozialhilferecht, nach dem jeder nur insoweit staatliche Hilfe beanspruchen kann, als er die betreffenden Aufwendungen (insbesondere den Lebensunterhalt) nicht durch den Einsatz eigener Einkünfte und eigenen Vermögens bestreiten kann, gerät mit zivilrechtlichen Gestaltungen in Konflikt, die Bedürftigkeit herbeiführen oder perpetuieren. Dieser Konflikt führt allerdings nach der genannten einschlägigen Rechtsprechung der verschiedenen Senate des Bundesgerichtshofs allein nie zur Unwirksamkeit solcher Rechtsgestaltungen.
Die vom Senat zu den Behindertentestamenten herausgearbeitete Durchbrechungen der Subsidiarität sozialer Leistungen zugunsten eines – endgültigen – Familienlastenausgleichs – das sind insbesondere
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die differenzierte Ausgestaltung für die jeweiligen Leistungsarten, |
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die Respektierung von Schonvermögen, |
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der begrenzte Einsatz eigenen Vermögens auf das Zumutbare und |
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die beschränkte Überleitung von Unterhaltsansprüchen – |
nehmen dem Nachrang damals wie heute seine Prägekraft. Eine allgemeine Rechtsüberzeugung, dass Eltern ihrem behinderten Kind etwas – wie den Pflichtteil – hinterlassen müssten oder dieses so etwas zu beanspruchen hätte, damit es nicht der Allgemeinheit zur Last fällt, gibt es ohnehin nicht.
(b) Sozialrechtliches Regelungssystem
Hinzu kommt, dass der Verzicht auf eine Erwerbsquelle nichts an der Verpflichtung ändert, vorhandenes Vermögen und vorhandene Einkünfte einzusetzen. Führt jemand die eigene Bedürftigkeit pflichtwidrig herbei, so kann dies selbstverständlich mit Leistungskürzungen – damit aber eben innerhalb des sozialrechtlichen Regelungssystems – sanktioniert werden. Wieso ein öffentlich-rechtliches Regelungsprinzip jedoch über § 138 Abs. 1 BGB in die Zivilrechtsordnung hineinwirken und gerade Behinderte bei den erbrechtlichen Instrumenten beschneiden können sollte, ist alles andere als selbstverständlich und bedürfte einer besonderen Begründung, die bislang noch nicht gefunden werden konnte. Gibt zum Beispiel jemand grundlos eine zumutbare Tätigkeit auf und macht sich hierdurch bedürftig, muss er mit Leistungskürzungen rechnen. Bislang ist aber wohl noch niemand auf die Idee gekommen, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 138 Abs. 1 BGB für unwirksam zu halten.
(c) Testierfreiheit
Die Gegner verweisen demgegenüber regelmäßig darauf, dass der beim Pflichtteilsverzicht selbst handelnde Leistungsbezieher sich nicht wie der Erblasser auf die Testierfreiheit im eigentlichen Sinn berufen könne. Insofern sei der Pflichtteilsverzicht eher mit dem Fall der Ausschlagung einer bereits angefallenen Erbschaft vergleichbar, der obergerichtlich als sittenwidrig eingestuft werde.
(aa) Obergerichtliche Rechtsprechung
Richtig daran ist, dass das OLG Stuttgart und das OLG Hamm in FGG-Verfahren entschieden haben, dass eine – vom Betreuer erklärte – Ausschlagung der Erbschaft eines behinderten Kindes, für die als Gegenleistung ihm nicht auf die Sozialhilfe anrechenbare Zuwendungen gewährt werden sollten, nicht vom Vormundschaftsgericht genehmigt werden könne. Der Behinderte entziehe eigennützig dem Sozialhilfeträger den Zugriff auf bereits beim Leistungsbezieher angefallenes Vermögen.
(bb) Negative Erbfreiheit
Dem widerspricht in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Meinung in der Literatur mit beachtlicher Begründung das LG Aachen. Das überzeugt und zwar vor allem aus grundrechtlicher Sicht, wie der Senat – erstmalig in der Rechtsprechung – dargelegt hat, was Sie unbedingt behalten sollten:
Die Wertungen der Senatsrechtsprechung zum Behindertentestament müssen auch beim erbrechtlich relevanten Handeln des Behinderten selbst zum Tragen kommen. Dessen Entscheidung darüber, ob er die Erbschaft bzw. den Pflichtteil haben bzw. behalten will, wird zumindest durch den Grundsatz der PrIV atautonomie gedeckt. Grundsätzlich ist jeder frei in seiner Entscheidung, ob er Erbe eines anderen werden möchte oder auf andere Art etwas aus dessen Nachlass erhalten will. Die – aus Grundrechtssicht – sich stellende Frage, ob die Erbrechtsgarantie in Art. 14 Abs. 1 GG weitergehend auch ein negatives Gegenstück iS einer "negativen Erbfreiheit" enthält, hat der Senat bejaht. Wenn Erblasser frei darin sind, andere zu ihren Erben einzusetzen, kann dies nur insoweit angehen, als die Betroffenen damit einverstanden sind. Es gibt keine Pflicht, etwas erben oder aus dem Nachlass sonst annehmen zu müssen. Deswegen muss Betroffenen das R...